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Die Frau des Zeitreisenden

Die Frau des Zeitreisenden

Titel: Die Frau des Zeitreisenden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Audrey Niffenegger
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habe. Henry, das ist er...«
    Charisse kommt in die Küche, und Gomez weicht schnell von mir zurück und öffnet den Kühlschrank. »Hey«, sagt sie. »Kann ich helfen?«
    »Hier, nimm die Tassen...« Beladen mit Tassen, Untertassen, Tellern und Brownies schaffen wir es sicher an den Tisch zurück. Henry sitzt da und wartet mit geduldiger und sorgenvoller Miene, als wäre er beim Zahnarzt. Ich muss lachen, denn es ist genau der Ausdruck, den er immer hatte, wenn ich ihm etwas zu Essen auf die Wiese brachte ... aber er erinnert sich nicht, er ist noch nicht dort gewesen. »Entspann dich«, sage ich. »Sind bloß Brownies. Und die kann sogar ich.« Wir lachen alle und setzen uns. Die Brownies erweisen sich als nicht ganz durchgebacken. »Brownies-Tartar«, sagt Charisse. »Salmonellen-Fudge«, sagt Gomez. Und Henry sagt: »Teig war schon immer meine Leidenschaft«, und leckt sich die Finger. Gomez rollt sich eine Zigarette, zündet sie an und nimmt einen tiefen Zug.
     
    Henry: Gomez zündet sich eine Zigarette an und lehnt sich im Stuhl zurück. Etwas an diesem Mann stört mich. Vielleicht liegt es an der lässigen, Besitz ergreifenden Art gegenüber Clare oder seinem Wald-und-Wiesen-Marxismus. Ich bin sicher, ihm schon begegnet zu sein. Vergangenheit oder Zukunft? Mal sehen. »Du kommst mir sehr bekannt vor«, sage ich zu ihm.
    »Ja, ich glaube, wir sind uns schon mal begegnet.«
    Ich hab’s. »Iggy Pop im Riviera Theater?«
    Er sieht verdutzt aus. »Klar. Du warst mit der blonden Frau da, Ingrid Carmichel, ich hab dich immer mit ihr gesehen.« Gomez und ich blicken beide auf Clare. Sie mustert Gomez interessiert, er lächelt ihr zu. Sie schaut weg, aber nicht in meine Richtung.
    Charisse kommt mir zu Hilfe. »Du hast Iggy ohne mich gesehen?«
    »Du warst ja nicht da«, erwidert Gomez.
    Charisse schmollt. »Immer verpass ich alles«, sagt sie zu mir. »Ich hab Patti Smith verpasst, und jetzt hat sie sich zur Ruhe gesetzt. Die Talking Heads hab ich auch verpasst, als sie zuletzt hier waren.«
    »Patti Smith wird wieder auf Tour gehen«, sage ich.
    »Wirklich? Woher weißt du das?«, fragt Charisse. Clare und ich wechseln Blicke.
    »Bloß so eine Vermutung«, antworte ich. Wir fangen an, die musikalischen Vorlieben des jeweils anderen zu erforschen und stellen fest, dass wir alle ergebene Punkfans sind. Gomez sah die New York Dolls in Florida, bevor Johnny Thunders die Band verließ. Ich beschreibe ein Konzert von Lene Lovich, das ich auf einer meiner Zeitreisen besuchen konnte. Charisse und Clare sind schon ganz aufgeregt, weil die Violent Femmes in ein paar Wochen im Aragon Ballroom spielen und Charisse Freikarten ergattert hat. Der Abend geht im Handumdrehen zu Ende. Clare bringt mich nach unten. Wir stehen im Vorraum, zwischen der äußeren und inneren Tür.
    »Tut mir Leid«, sagt sie.
    »Aber warum denn? Hat doch Spaß gemacht, ich koche wirklich gern.«
    »Nein«, sagt Clare mit gesenktem Blick, »wegen Gomez.«
    Es ist kalt. Ich nehme Clare in den Arm, und sie lehnt sich an mich. »Was ist mit Gomez?«, frage ich sie. Etwas macht ihr Probleme. Aber sie zuckt nur die Schultern. »Schon gut«, meint sie, und ich nehme sie beim Wort. Wir küssen uns. Ich öffne die äußere Tür, Clare die innere. Auf dem Gehweg drehe ich mich noch einmal um. Clare steht immer noch im halb offenen Eingang und beobachtet mich. Ich bleibe stehen, möchte am liebsten umkehren und sie in die Arme schließen, möchte mit ihr wieder nach oben gehen. Sie dreht sich um und steigt langsam die Treppe hoch; ich blicke ihr nach, bis sie außer Sichtweite ist.
Samstag, 14. Dezember 1991, &  Dienstag, 9. Mai 2000 (Henry ist 36)
     
    Henry: Ich bin gerade dabei, einen großen betrunkenen Spießer grün und blau zu schlagen, der die Frechheit besaß, mich Schwuchtel zu nennen und mich dann, nur um etwas zu beweisen, verprügeln wollte. Wir sind in der Gasse neben dem Vic Theater. Der Bass der Smoking Popes quillt aus den Seitenausgängen, während ich dem Idioten systematisch die Nase zerschmettere und mich anschließend um seine Rippen kümmere. Ich hatte einen miesen Abend, und dieser Trottel kriegt die volle Wucht meiner Frustration ab.
    »Hey, Bücherknecht.« Ich wende mich von meinem stöhnenden schwulenhassenden Yuppie ab und sehe Gomez, er lehnt mit finsterer Miene an einer Mülltonne.
    »Genosse.« Ich trete einen Schritt zurück, und der von mir verprügelte Typ schiebt sich gekrümmt, aber dankbar, von dannen. »Wie geht’s so?«

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