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Die Frau des Zeitreisenden

Die Frau des Zeitreisenden

Titel: Die Frau des Zeitreisenden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Audrey Niffenegger
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nicht an wie ein Dämon.«
    Grandma lächelt. »Du redest, als wären dir schon einige begegnet.«
    »Meinst du nicht, ein echter Dämon wäre irgendwie - dämonisch?«
    »Ich glaube, wenn er’s drauf anlegt, könnte er zuckersüß sein.«
    Ich wähle meine Worte mit Bedacht. »Henry hat mir einmal erzählt, dass ihn sein Arzt für eine neue Art von Mensch hält. Weißt du, gewissermaßen der nächste Schritt in der Evolution.«
    Grandma schüttelt den Kopf. »Das ist genauso schlimm wie ein Dämon. Guter Gott, Clare, warum in aller Welt willst du so einen Mann heiraten? Denk nur an eure Kinder! Verschwinden mal eben in die nächste Woche und kommen zum Frühstück zurück!«
    Ich muss lachen. »Aber das wäre doch aufregend! Wie bei Mary Poppins oder Peter Pan.«
    Sie drückt ganz leicht meine Hände. »Denk doch mal nach, Liebes. In Märchen sind es immer Kinder, die die schönen Abenteuer erleben. Die Mütter müssen daheim bleiben und warten, bis die Kinder zum Fenster hereinfliegen.«
    Ich betrachte den zerknitterten Kleiderhaufen, den Henry auf der Erde zurückgelassen hat. Ich hebe die Sachen auf und lege sie zusammen. »Sekunde noch«, sage ich, hole die Kleiderschachtel und lege alles hinein. »Gehen wir zurück. Es ist schon nach Mittag.« Ich helfe ihr vom Stein auf. Der Wind pfeift durchs Gras, und wir stemmen uns ihm entgegen und kämpfen uns in Richtung Haus zurück. Auf der Anhöhe drehe ich mich um und werfe einen Blick über die Lichtung. Sie ist leer.
    Ein paar Abende später sitze ich bei Grandma am Bett und lese ihr Mrs Dalloway vor. Ich blicke auf, Grandma scheint zu schlafen. Ich höre zu lesen auf und schließe das Buch. Sie öffnet die Augen.
    »Hallo«, sage ich.
    »Fehlt er dir manchmal?«, fragt sie mich.
    »Immer. Jeden Tag. Jede Minute.«
    »Jede Minute«, wiederholt sie. »Ja. So ist das nun mal, nicht wahr?« Sie dreht sich auf die Seite und vergräbt sich in ihr Kissen.
    »Gute Nacht«, sage ich und schalte die Lampe aus. Im Dunkeln blicke ich auf Grandma in ihrem Bett hinab, und plötzlich durchströmt mich Selbstmitleid, als hätte man mir eine Spritze davon verpasst. So ist das nun mal, nicht wahr? Nicht wahr.

FRESSEN ODER GEFRESSEN WERDEN
Samstag, 30. November 1991 (Henry ist 28, Clare 20)
     
    Henry: Clare hat mich zum Essen in ihre Wohnung eingeladen. Ihre Mitbewohnerin Charisse und deren Freund Gomez werden auch da sein. Um 18.59 Uhr Weltzeit stehe ich in meiner feinsten Sonntagskluft in Clares Vorraum, den Finger auf ihrem Summer, duftende Freesien und einen australischen Cabernet im anderen Arm, und das Herz schlägt mir bis zum Hals. Bisher bin ich weder bei Clare gewesen noch habe ich einen ihrer Freunde kennen gelernt. Keine Ahnung, was mich erwartet.
    Der Summer macht ein grässliches Geräusch, und ich öffne die Tür. »Ganz oben!«, brüllt eine tiefe männliche Stimme. Ich kämpfe mich vier Stockwerke hoch. Die zu der Stimme gehörende Person ist groß und blond, hat die formvollendetste Schmachtlocke der Welt, raucht und trägt ein Solidarnocz-T-Shirt. Er kommt mir bekannt vor, aber ich kann ihn nicht einordnen. Für jemand namens Gomez sieht er sehr... polnisch aus. Später stellt sich heraus, dass er eigentlich Jan Gomolinski heißt.
    »Willkommen, Bücherknecht!«, dröhnt Gomez.
    »Genosse!«, entgegne ich und reiche ihm Blumen und Wein. Wir beäugen uns misstrauisch, schaffen détente, und Gomez bittet mich mit einer schwungvollen Gebärde herein.
    Es ist eine dieser herrlich endlosen Schlauchwohnungen aus den Zwanzigern - ein langer Flur, in dem die Zimmer wie nachträglich angebaut wirken. Zwei ästhetische Welten prallen aufeinander, Pop und viktorianisch. Ausdruck findet das in sehenswerten antiken Petitpoint-Stühlen mit schweren geschnitzten Beinen neben Elvis-Bildern auf Samt. Am anderen Ende des Flurs läuft Duke Ellingtons I Got it Bad and That Aint Good, und in diese Richtung führt mich Gomez.
    Clare und Charisse sind in der Küche. »Kätzchen, ich hab euch ein neues Spielzeug mitgebracht«, intoniert Gomez. »Es hört auf den Namen Henry, aber ihr könnt es auch Bücherknecht nennen.« Ich begegne Clares Blick. Sie zuckt die Schultern und hält mir ihr Gesicht zum Kuss hin. Ich gebe ihr ein keusches Küsschen, bevor ich mich umdrehe und Charisse die Hand gebe; Charisse ist klein und auf eine sehr angenehme Art rundlich, sie besteht nur aus Kurven und langem schwarzem Haar. Ihr Gesicht wirkt so freundlich, dass ich das Bedürfnis verspüre, ihr

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