Die Frau, die ihren Mann auf dem Flohmarkt verkaufte: Oder wie ich zum Erzähler wurde (German Edition)
und genussvolles Stöhnen aus Samias und Adnans Schlafzimmer. Wahrscheinlich hat Samia dem größten Lügner des Abends einen Preis verliehen und ihm einen Spaziergang durch das Paradies der Sinne geschenkt …
SPRICH, DAMIT ICH DICH SEHE
Ein Versuch über die Mündlichkeit in unserer
Zeit. Mit den Gästen
Ibn Aristo, Don Quijote und Sancho Panza
»Die Sprache ist die Mutter, nicht die Magd d es Gedankens.«
Karl Kraus
Einen Vortrag von einem schriftlichen Manuskript über die mündliche Erzählkunst abzulesen, ist ein Widerspruch in sich. Doch es ist ein nützlicher Widerspruch. Er zeigt nämlich den Charakter unserer Zeit und die Grenzen der Mündlichkeit – wie ich noch zu erzählen haben werde.
Um mit dem bekanntesten Charakteristikum des mündlichen Erzählens anzufangen, möchte ich Ihnen sofort verraten, was ich zu tun beabsichtige: Ich möchte Ihnen meine Erfahrung mit dem mündlichen Erzählen schildern. Das macht meine Vorlesung sehr subjektiv und für manche Akademiker vielleicht auch nicht seriös genug, und als ob das nicht reichen würde, treten auch noch Don Quijote und Sancho Panza auf. Da ich aber im Rahmen einer Professur an einer Universität vor Ihnen stehe, werde ich die Vorlesung mit dem Auftritt des sehr seriösen Herrn Ibn Aristo akademisch aufpolieren. Denn er ist ein Wissenschaftler.
Ich lernte Ibn Aristo erst spät kennen. Ich war bereits Student an der Universität Damaskus. Sein Äußeres war und ist heute noch ein sehr angenehmer Anblick. Er ist einAsket, immer frisch rasiert, penibel sauber, mit gütigen Augen und schneeweißem Haar, und er ist immer ein wenig langweilig.
Ganz anders Don Quijote, mit dem ich seit über fünfzig Jahren befreundet bin. Und das hat eine Vorgeschichte, die aber schnell erzählt ist.
Ich verdanke meine Liebe zu Büchern, ja zur Schriftstellerei, einer ganzen Reihe von sowohl harmlosen wie auch lebensbedrohlichen Kinderkrankheiten. Manchmal berührte mich die kalte Hand des Todes, und oft trieb meine Faulheit mein Fieber in die Höhe. Ich durfte nie Fußball spielen und las wie besessen alles, was ich in die Hände bekommen konnte. Es gab damals keine Kinderbücher, und so las ich alles, was in der kleinen, aber schönen Bibliothek meines Vaters stand, und lieh mir Bücher von den wenigen Nachbarn, die welche besaßen. Einer dieser Nachbarn war ein Lehrer für Französisch. Er war so groß und dürr, dass er wie eine Figur von Giacometti aussah. Er war es, der mir eine französische Übersetzung von Don Quijote mit Bildern von Gustave Doré lieh, die ich binnen zwei Wochen verschlang.
Ich habe Cervantes’ geniales Werk damals nicht mit den Instrumenten eines Sprachliebhabers oder Literaturkritikers gewürdigt, sondern mit dem Instinkt eines Süchtigen. Denn ich war inzwischen süchtig nach Geschichten. So drang der erste Roman der Moderne in meine Seele, und ich verinnerlichte die Abenteuer, ja den Duktus und sogar den Tonfall der beiden Protagonisten Don Quijote und Sancho Panza. Ich musste damals lange im Bett liegen. Und so führte ich Tag und Nacht unendliche Dialoge mit ihnen. Oft musste ich lachen, und meine Mutter dachte, ich hätte wieder einen Fieberanfall. Don Quijote tröstete mich und half mir mit seinen unzähligen Brücken über den Abgrund meiner Schmerzen und meiner Angst vor dem Tod. Ich behaupte heute, obwohl ich nie Medizin studiert habe, dass Don Quijote zu meiner Heilung wesentlich beitrug.
Ich litt an einer bösen Lungenentzündung, Blutarmut und einer nicht vollständig geheilten Hirnhautentzündung, aber absurderweise betrachtete ich mein Kranksein als Stärke. Denn ich war sehr um eine junge Schönheit aus der Nachbarschaft bemüht und hoffte, durch das Mitleid ihr Herz zu erobern, indem ich ihr von meinem Kampf mit dem Todesengel im Traum erzählte. Sie war die erste, die mir prophezeite, ich würde ein guter Erzähler. Ich könne ruhig wie alle Helden der Geschichten jung sterben. Sie würde dann viel um mich weinen und keinen anderen mehr heiraten. Und ich sah während meiner Fieberanfälle Don Quijote mit gesenkter Lanze an meinem Grab stehen, und ich hörte Sancho Panza, diesen schlauen Bauern, nörgeln: »Was wollen wir hier bei diesem blassen Jungen?« Und Don Quijote antwortete: »Er wollte für seine schöne Geliebte die arabische Literatur retten, also halt die Schnauze, nimm deinen Hut ab und senke dein mit Stroh gefülltes Haupt.«
Die Schönheit heiratete später einen reichen Mann, aber
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