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Die Frau die nie fror

Die Frau die nie fror

Titel: Die Frau die nie fror Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Elo
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weiter nach Norden, queren die Hudson Strait, halten uns nach der Hall Peninsula links und fahren weiter in den Cumberland Sound.«
    »Cumberland Sound?«
    »Genau. Dahin fahren wir. Aber Sie können auch Baffin Bay sagen, wenn Sie wollen. Oder sonst irgendwas. Die Passagiere erkennen sowieso keinen Unterschied. Die könnte man auch auf Grönland absetzen und sagen, das ist Kanada. Die brauchen mindestens einen Tag, bis sie dahinterkommen.«
    »Wenn wir dort ankommen, was machen wir dann, äh … lassen wir uns einfach treiben oder legen wir irgendwo in einem Hafen an?«
    »Na ja, dort oben gibt es keine richtigen Häfen. Da ist eine kleine Siedlung, die von den Einheimischen Pang genannt wird, die schmiegt sich an einen wirklich atemberaubenden Fjord. Aber wir fahren noch weiter.« Er streicht mit einem Finger Richtung Nordwest die Meerenge hinauf. »Hier gehen wir irgendwo vor Anker, um unseren Spaß zu haben.«
    Ich linse auf die Karte. »Wo?«
    »Was spielt das für eine Rolle? Ist alles total abgeschieden. Das Land ist unbewohnt. Wohin wir fahren, gibt’s keine Versorgungsschiffe mehr, das kann ich Ihnen sagen. Die nächsten Menschen sind die Inuit unten in Pang.«
    Lou ist ein zungenfertiger, schmieriger Typ, aber durchaus auch sympathisch. Ich überlege gerade, wie ich noch mehr aus ihm herausbekommen kann, als ich hinter mir ein schabendes Geräusch höre. Ein großer junger humpelnder Mann zieht sich einen Klappstuhl aus Aluminium heran und setzt sich. Er hat ein teigiges Gesicht, die Haare sind strähnig, und seine Beine, die er in Stolpernähe hinter mir ausgestreckt hat, zucken nervös.
    »Darf ich vorstellen: mein Stiefsohn Troy«, verkündet Lou trocken. »Aus den Tiefen des Maschinenraums zu Gast bei uns auf der Brücke.«
    »Hey, Troy«, sage ich.
    »Sie ist der Schwimmer«, sagt Lou mit deutlich weniger Begeisterung als vorhin.
    Troys Augen schimmern, aber er sagt nichts.
    Die Unterhaltung wird persönlich. Ein bisschen zu persönlich. Die Kurzfassung: Lou war früher mit Troys Mutter verheiratet. Nach der Scheidung erbte er das Sorgerecht für ihren auf die schiefe Bahn geratenen Sohn und versuchte, ihn für die Fischerei zu interessieren, um ihn von der Straße fernzuhalten. Nicht, dass es funktioniert hätte. Das alles erzählt Lou mit reichlich Sarkasmus. Anscheinend möchte er für seinen nicht biologischen Altruismus gelobt werden, während er sich gleichzeitig von dem offensichtlich jämmerlichen Ergebnis distanziert.
    Als Lou zu reden aufhört, deutet Troy mit dem Kopf auf seinen Stiefvater. »Der Typ hat mir alles beigebracht, was ich weiß.«
    »Nur nicht Einbruch, Widerstand gegen die Staatsgewalt, Handel mit Drogen und sich immer wieder schnappen zu lassen, stimmt’s?«, erwidert Lou verärgert.
    »Nee. Nur wie man Leuten in den Arsch kriecht und sich dabei auch noch ein Bein ausreißt.« Troy sieht mich an, als wäre das mal ein echt guter Witz, über den wir beide uns ausschütten könnten vor Lachen, wenn wir Bock hätten. Ich sehe, wie Lou einen dicken Hals bekommt.
    Es kommt mir vor, als würde ich im Reality TV Lou und Troy sich selbst spielen sehen.
    »Heute ist der erste Arbeitstag für den Schwimmer«, sagt Lou gepresst. »Lass uns ihr doch keine Angst einjagen.«
    »Die hat keine Angst vor Matrosen, die ein bisschen Kohle machen wollen. Vor allem nicht, wenn sie selbst dazugehört.«
    Lou wirft mir einen nervösen und entschuldigenden Blick zu, dann sind seine Augen auch schon wieder woanders. Sein Stiefsohn scheint ihn geschlagen zu haben. Als ihm dann die beiseitegewischte strohblonde Strähne wieder ins Gesicht fällt, ist es, als würde bei einem kitschigen Einakter der Vorhang fallen. Troy sitzt mit weitgespreizten Beinen da und starrt mich an, als wär ich eine leere Bierflasche auf einem Zaun und er ein gelangweilter Proll.
    In der Familie geht echt die Luzi ab , denke ich, schnappe mir die Reinigungsutensilien und verschwinde auf dem gleichen Weg, den ich gekommen bin.
    »Hey, und was ist jetzt mit der Toilette?«, ruft Lou mir nach.
    »Später«, antworte ich.
    Troy stößt ein hässliches Lachen aus.
    *
    Ich muss sofort Parnell wissen lassen, wohin wir fahren. Mein Mobiltelefon wird hier draußen im Golf von Maine nicht mehr ewig funktionieren. Aber noch sind wir nahe am Festland, daher ist es durchaus möglich, dass wir noch im Roaming-Bereich meines Netzanbieters sind.
    Ich renne die Treppen zum untersten Deck hinunter. Dort herrscht ein ständiges Summen, jede

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