Die Frau die nie fror
ohne ihr Misstrauen zu erregen. Und selbst wenn sie mir misstraute, wäre es ihr völlig egal.
»Was passiert mit dem Kadaver – ich meine, nachdem sie den Wal getötet haben?«, frage ich mit neutraler Stimme.
»Der Kadaver? Es ist mehr als einer. Hunderte.«
»Hunderte? Wirklich?« Sie ist noch konfuser, als ich dachte.
Margots Blick wirkt leicht gekränkt. »Die Körper sinken auf den Grund und verwesen. Jede Menge davon. Ein Massengrab. Was haben Sie denn gedacht?«
»Das wusste ich nicht.«
Sie trinkt ihren Champagner schlückchenweise, indem sie wie ein kleines Kind die Lippen an den Rand des Glases senkt, ohne es zuvor von der Theke zu heben. »Jorn ist scharf auf Sie. Das merkt man daran, wie er versucht, Sie zu ignorieren.«
Stimmt. Er hat mich den ganzen Abend nicht angesehen. Aber wie er mir den Rücken zugewandt hält, mir sein Profil zeigt, in dominanter Haltung über den anderen auf der Couch aufragt – all das scheint mich ganz ausdrücklich einzubeziehen.
»Die meisten Menschen würden denken, das sei ein Widerspruch, aber ich weiß, was Sie meinen.«
Sie lächelt huldvoll. »Mögen Sie ihn?«
»Ich fühle mich in seiner Nähe unwohl.«
»Ganz normal. So wirkt er auf alle Frauen. Er sieht gut aus und ist irrsinnig reich.«
»Wenn man vom Teufel spricht.«
»Ladys«, sagt Ekborg herzlich und setzt sich auf den Hocker neben Margot, »seid ihr bereit für meinen Film?« Sein schwedischer Akzent hat einen ansprechend singenden Tonfall. Man denkt unwillkürlich an frische Luft und Holunder.
»Ich kenne ihn schon, Jorn. Du zeigst ihn doch schon zum dritten Mal, oder?«, erwidert Margot.
»Sei nicht albern. Ich habe dir und Bob gestern Abend ein Stück davon gezeigt, aber die anderen möchten ihn jetzt sehen. Unsere Freundin hier eingeschlossen.« Er deutet mit dem Kopf in meine Richtung, allerdings immer noch, ohne mich anzusehen.
»Du meinst die Barkeeperin?«
»Ms Kasparov.«
»Ich bin sicher, sie wird schwer beeindruckt sein. Man sieht ja nicht alle Tage, wie eine Löwin im Maschinengewehrfeuer abgeschlachtet wird.«
Ekborg lacht nachsichtig. »Kein Maschinengewehr, Margot. Bitte. Es klingt so schrecklich brutal, wie du es sagst. Es ist eine echte Kunst, wie der Stierkampf.«
Margot sieht mich an und zieht ironisch eine Augenbraue hoch. »Oh, Toreador!« Sie gleitet von ihrem Barhocker und schwankt zu Jaeger hinüber, wobei sie die Champagnerflöte wie eine Fackel in die Höhe reckt.
»Sie ist fragil«, vertraut Ekborg mir an. »Genau wie seine erste Frau, nach allem, was ich höre.«
»Ich glaube, er ist immer noch mit der ersten verheiratet.«
»Ist er das? Keine Ahnung. Und Sie – sind Sie verheiratet?«
»Das Vergnügen hatte ich noch nicht.«
»So eine reizende Frau. Ich bin überrascht.«
»Was ist mit Ihnen?«
»Ich habe es vor einigen Jahren versucht. Wir waren nicht füreinander gemacht. Ich wusste es die ganze Zeit, aber mir fehlte der Mut, es ihr zu sagen, der Stimme meines Herzens zu folgen. Sie wirken überrascht. Aber sich selbst zu kennen, wissen, wie man liebt … solche Dinge brauchen ihre Zeit.«
Sein Gesicht ist so attraktiv, dass ich durchaus nachvollziehen kann, wie eine Frau in hilfloser Ehrfurcht vor ihm erstarrt.
Jemand bestellt lautstark eine neue Runde. Ich mache die Drinks fertig und stelle sie auf ein Tablett. Ekborg serviert sie für mich wie ein glücklicher, zufriedener Ehemann.
»Sehen wir uns den Film an«, sage ich bei seiner Rückkehr, nur damit er endlich aufhört, mich mit diesen klaren, meerblauen Augen anzuglotzen.
Ekborg scheint sich über meine Bitte zu freuen. Er geht zu dem Laptop, lehnt sich mit der Schulter gegen die Wand und klickt sich mit einer Fernbedienung durch ein Menü. Eine trockene, braune Landschaft – eindeutig Afrika – erhebt sich auf der Leinwand. Das Wackeln des Bildes und das Rattern eines lauten Motors deuten an, dass die Person mit der Kamera in einem Auto fährt. Im Hintergrund Stimmen. Ich meine, zwischen den harten englischen Konsonanten einheimische Klänge zu hören. Die Kamera schwenkt träge über eine flache Graslandschaft, übersät mit Gruppen von Sträuchern und hohen Bäumen, deren Äste sich scharf vor dem Hintergrund eines versengenden blauen Himmels abzeichnen.
Ekborg liefert den Begleitkommentar, imitiert einen Jahrmarktschreier. »Hier sind wir jetzt, Damen und Herren, in den üppigen Feuchtgebieten des Okavangodeltas in Botswana. Der Fluss, den Sie in der Ferne sehen, ist verseucht
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