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Die Frau die nie fror

Die Frau die nie fror

Titel: Die Frau die nie fror Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Elo
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fortsetzen, hat aber vergessen, worum es ging. Nein, er möchte nicht mit mir zur Polizeiwache gehen und seine Mutter abholen. Kann er hierbleiben und ein bisschen fernsehen? Kaum auf der Couch, ist er schon eingeschlafen. Der Mund leicht geöffnet, lange Wimpern, die wie Federn auf den Wangen liegen.
    Ich lasse ihn nur ungern allein, andererseits will ich ihn aber auch nicht aufwecken. Und er muss nicht unbedingt sehen, wie seine Mutter aus dem Gefängnis kommt. Ich packe ihn in eine Decke, lasse ihm meine Mobilnummer mit einer kurzen Nachricht da: Bin gleich zurück.
    Das Polizeirevier ist nur ein paar Blocks weg. Ich nehme trotzdem den Wagen, fahre durch menschenleere Straßen und stelle ihn direkt davor auf einem gebührenpflichtigen Parkplatz ab. Meine Absätze klackern über den makellosen Linoleum­boden. Keine Schlange am Empfang, kein Warten. Eine untersetzte, uniformierte Frau mit kantigem Kinn mustert mich und überlegt, was sie von mir halten soll. Ich erkläre, warum ich hier bin, und stelle den Scheck für die Kaution aus. Es fällt kein Wort mehr als unbedingt nötig.
    Ich hatte befürchtet, Thomasina wäre extrem reizbar, wenn sie aus der Zelle kommt, doch sie ist kleinlaut und beherrscht. Unsere Blicke treffen sich kurz. Sie hat ihr Haar in einen Knoten geschlungen und ihre schwarze Satinjacke zugeknöpft, als ginge sie zu einem Vorstellungsgespräch. Die Beamtin gibt ihr die voluminöse Lederhandtasche zurück. Thomasina wirft sicherheitshalber einen Blick hinein, und wir treten aus dem ungastlichen Gebäude hinaus in die letzte Stunde der Dunkelheit. Im Wagen sagt sie gar nichts, sondern hockt nur da, mit blassen Lippen und hinter einer riesigen, schreiend überflüssigen Sonnenbrille. Wir sind schon fast bei mir auf dem Parkplatz, als sie endlich erzählt, was los war.
    »Was ich getan habe, dazu will ich gar nichts sagen. Ich weiß, es war falsch. Aber ich habe wirklich nicht gedacht, dass ich so lange fort sein würde. Oder dass ich geschnappt würde. Zumindest nicht so.« Sie nimmt die Sonnenbrille ab und sieht mich flehend an.
    Und hier sitze ich nun, Geschworene und Richterin in Personalunion, zwei Jobs, die ich nie haben wollte. »Mhm-mh. Was ist passiert?«
    »Na ja, zuerst bin ich zu Max gegangen und dann zu einer Party, weißt du, mit Max und ein paar anderen Leuten, und es ist dann irgendwie ausgeartet« – was bedeutet, dass sich Sex und der Konsum harter Drogen aus den Schlafzimmern und Bädern ins Wohnzimmer verlagerten –, »also bin ich gegangen und wollte nach Hause. Es war erst zehn Uhr. Aber dann hatte ich diesen Einfall … Es war eine blöde Idee, ich muss betrunken gewesen sein … Jedenfalls, mir kam die Idee, dass ich vielleicht ein paar Fotos von Ned suchen könnte. Für Noah. Wir haben keine.«
    Sie sieht mich an, will wissen, ob ich ihrer Logik folgen kann.
    »Weißt du, vor ein paar Tagen hab ich Phyllis angerufen und gefragt, ob wir welche haben könnten, aber sie hat einfach aufgelegt. Also hab ich Neds Schwester angerufen – und bei ihr genau dasselbe. Das hat mich so wütend gemacht. Ich meine, hey, was sind schon ein paar Fotos? Ist ja wohl nicht zu viel verlangt, oder? Wir haben kein einziges. Ich dachte, wir hätten welche, aber ich muss sie wohl weggeschmissen haben, als ich mal angepisst war. Egal, ich wollte Noah was Nettes basteln, also, ein kleines Album oder so, damit er sich an die schöne Zeit erinnern kann, na ja, und wie sein Vater ausgesehen hat. Das braucht er, findest du nicht auch? Es ist wichtig . Aber diese beiden … Was haben die überhaupt für ein Problem? Warum können sie zur Abwechslung nicht mal an Noah denken? Wen interessiert’s denn schon, wer der gottverdammte leibliche Vater ist? Ned hat ihn geliebt, und Noah hat ihn auch geliebt. Also hab ich mir gedacht: Ich hol mir jetzt einfach ein paar Scheißfotos, und wenn ich dabei draufgehe. Ned hatte wahrscheinlich einen ganzen Stapel Bilder. Und sein Scheiß gehört denen doch gar nicht .«
    Dann schildert sie, wie sie zu Neds Haus in East Milton gefahren und durch ein zerbrochenes Kellerfenster eingestiegen ist. Ich hebe fragend meine Augenbrauen.
    »Ist ja schon gut! Dann hab ich’s eben selbst eingeschlagen«, schiebt sie nach.
    Das Haus war aufgeräumt, das Bett abgezogen, und im Kühlschrank standen keine verderblichen Lebensmittel, daher wusste sie, dass Phyllis und Neds Schwester bereits da gewesen waren. Aber an Neds Schreibtisch war niemand gewesen. Stapelweise Papiere

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