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Die Frau die nie fror

Die Frau die nie fror

Titel: Die Frau die nie fror Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Elo
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war und wir Domino gespielt haben. Ich werfe es auf den Couchtisch und nehme mir vor, später Thomasina anzurufen, um ihr zu sagen, dass ich es gefunden habe.
    *
    Dienstag, sieben Uhr morgens. Ein Zimmer im Paradise Hotel. Ein anderes als beim ersten Mal, aber es hätte durchaus dasselbe sein können. Ich setze meine Zehen auf blaugrünen, langflo­rigen Teppichboden, der sich wie recyceltes Plastik anfühlt, und tapse ins Bad. Dort mustere ich mein blasses Gesicht im Neonlicht, das chronisch knackt und summt wie ein paar vor sich hin brabbelnde Schizophrene, die in einer Anstalt vergessen wurden. Vielleicht reagiere ich etwas zu heftig auf das Licht, keine Ahnung. Ich bin in Panik. Die Zahnbürste in meiner Hand zittert, und der Mund fühlt sich knochentrocken an, sogar beim Zähneputzen. Ich ziehe den Badeanzug an, den Eileen mir gestern am Flughafen gegeben hat, darüber dann normale Kleidung. Die grüne Badekappe stopfe ich in meine Handtasche. Immer noch keine Flip-Flops. Auch das regt mich auf. Man verliert leicht das große Ganze aus dem Blick, wenn man in einer Stunde eine Verabredung mit einem Wasserbecken hat, dessen Temperatur bei vier Grad Celsius liegt.
    Eileen wartet in der Lobby, um mich zur NEDU zu fahren, aber sie ist nicht annähernd so freundlich wie bei meinem ersten Besuch. Ihr Mund ist ein Strich von etwa vier Zentimetern Länge. Ich bin nicht mehr die ideale Versuchsperson, sondern nur noch jemand, den sie an der Backe hat.
    Acht Uhr morgens. Die Mannschaft ist vollzählig am Experimentellen Testbecken versammelt: ein Arzt, der Sportwissenschaftler, ein Typ an den Messgeräten und dann noch ein paar Leute, die aus mir unbekannten Gründen hier sind. Außerdem ein Navy SEAL . Im Neoprenanzug. Er muss dann wohl so was wie mein persönlicher Rettungstrupp sein. Ich wiege zweiundfünfzig Kilo, also sollte ein Retter genügen. Er mustert mich gierig, allerdings ohne sexuelle Hintergedanken, eher aus beruf­lichem Interesse. Vielleicht ist er scharf drauf, seine Qualitäten als Rettungstaucher unter Beweis zu stellen. Ich sehe mich um, kann Commander Stockwell aber nirgends entdecken. Was mich ein wenig kränkt. Fast ist es so, als wäre das beliebteste Mädchen der Schule nicht zu meiner Geburtstagsparty gekommen.
    Eileen steht mit mir am Beckenrand. Man hat mir einen Gürtel und Gurtzeug angelegt, das einen runden Metallsender eng an meinem Brustkorb fixiert. Mit einem matten Lächeln erkundige ich mich, ob ich wirklich die Badekappe aufsetzen muss. Eileen kann es gar nicht fassen, dass ich diese Frage gestellt habe, für sie bin ich der letzte Idiot. Also setze ich sie auf. Ich vermute mal, die Kappe wird verhindern, dass meine Haare die Filter verstopfen, während ich in einen Schockzustand falle oder mit anhaltenden, unerträglichen Schmerzen kämpfe.
    Das Wasser ist dunkler, als ich es in Erinnerung habe. Kein unbeschwertes Türkis. Meine Zehen tasten sich über den Betonrand des Beckens. Zart wie rosafarbene Blüten, hausbacken und ahnungslos, kommen sie mir vor wie eine Reihe molliger kleiner Knirpse, die ihre Badekleidung vergessen haben. Ich schätze, die Zehen haben mein vollstes Mitgefühl, weil ich gar nicht daran denken mag, was mit dem Rest von mir passieren wird. Ich nehme mir Eileens Rat zu Herzen und tauche keinen Zeh ins Wasser, um schon mal die Temperatur zu fühlen.
    Der Sportwissenschaftler, ein kleiner muskelbepackter Typ im Polohemd, fragt, ob ich so weit bin.
    Ich nicke, atme flach ein. Ich rede mir ein, ich sei zu Hause in Boston im Y und das hier wäre einfach nur ein ganz normales Training. Ich springe.
    Das Wasser fühlt sich auf der Haut an wie ein Dutzend Pressluftbohrer und tausend Nadeln. Mein Gehirn zieht sich zusammen, als ob es zu Tode erschrocken aus meinem Schädel fliehen will. Die Füllungen scheinen sich in meinem Mund auszudehnen – platzende silberne Eiswürfel entlang meines schmer­zenden Kiefers. Der Schock ist identisch mit dem, was ich am 7. September erlebt habe, nur dass mich diesmal eine andere, bedrohlichere Art Angst erfüllt. Das kommt daher, dass ich genau weiß, was ich mir hier gerade antue.
    Sekunden später bin ich völlig orientierungslos. Wo bin ich? Ich schaffe es, zu dem Floß in der Mitte des Beckens zu kommen, greife danach, versuche mein verzweifeltes Luftschnappen zu beruhigen. Es ist schwer, das Seil mit der rechten Hand festzuhalten, weil die Finger schnell taub werden. Ganz weit weg baumeln meine blutleeren Füße. Die linke

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