Die Frau die nie fror
in ihre Geschirre legen, ganz offenkundig versessen darauf, endlich loszurennen.
»Der menschliche Körper verbrennt ununterbrochen seine Reserven an Glykogen und Fett. Je stärker er arbeitet, desto schneller sind die Reserven aufgebraucht. Manche von uns nennen diesen Prozess auch Sport .« Er lächelt, um diese unbeschwerte Bemerkung wirken zu lassen. »Wenn die Energie aufgebraucht ist, fühlen wir uns erschöpft, und es wird zunehmend schwieriger, die körperliche Betätigung fortzusetzen, bis die Reserven an Glykogen und Fett wieder aufgefüllt sind. Wir haben immer angenommen, Erschöpfung sei eine der Möglichkeiten des Körpers, sich selbst zu schützen, ein notwendiger biologischer Prozess, der allen Lebewesen gemein ist. Dann fiel jemandem etwas sehr Merkwürdiges bei den Hunden auf, die am alljährlichen Schlittenhundrennen Iditarod in Alaska teilnehmen. Sie wurden nicht müde. Sie liefen elfhundert Meilen durch schwieriges Terrain bei eisigen Temperaturen. Wenn sie im Ziel ankamen, drehten sie sich um und wollten den Weg am liebsten gleich wieder zurücklaufen.
Also beschlossen Forscher, an verschiedenen Stopps entlang der Rennstrecke die Stoffwechselraten der Hunde zu messen. Zu Beginn des Rennens verhielten sich ihre Körper so, wie wir es als normal ansehen. Doch innerhalb von vierundzwanzig Stunden hatte sich ihre Stoffwechselrate auf ein Niveau verlangsamt, das man nur bei ruhenden Lebewesen erwarten würde. Sie haben richtig gehört: verlangsamt . Während die Hunde jeden Tag rund einhundert Meilen liefen, und das zehn, zwölf Tage hintereinander.
Es ergab einfach keinen Sinn, war noch nie zuvor beobachtet worden und widersprach so ziemlich allem, was wir über den Säugetierkörper zu wissen glaubten. Aber trotzdem war’s so. Jeder konnte es mit eigenen Augen sehen. Irgendwie schafften es die Hunde, den Erschöpfungsprozess nicht nur anzuhalten – sondern sogar umzukehren.
Seitdem sind wir auf der Suche nach dem biologischen Mechanismus, nach dem Schalter, den die Hunde nutzen, um den Ermüdungsprozess umzukehren. Es ist absolut möglich, dass Menschen dieselbe Fähigkeit haben. Wenn wir diesen Schalter finden können und lernen, wie wir ihn ein- und ausschalten, könnten wir unseren Soldaten beibringen, in anstrengenden Situationen, wie beispielsweise in einem Kampfeinsatz, die Erschöpfung zu überwinden. Leider war unsere Forschung bislang ergebnislos. Aber jetzt sind Sie aufgetaucht und haben uns etwas sehr Ähnliches im Falle von thermischen Belastungsszenarien vorgeführt.«
Er strahlt wie ein Mann, der seine Liebste trifft. »Jetzt haben wir einen komplett anderen Satz an Fragen: Inwiefern sind Sie einem Schlittenhund ähnlich? Inwiefern sind Schlittenhunde Ihnen ähnlich?«
Ich erwidere das Lächeln, allerdings nicht ganz so breit. Was ich an Wissenschaftlern wirklich mag, ist ihre unermessliche Phantasie und ihre liebenswerte Unbeholfenheit im gesellschaftlichen Umgang.
Commander Stockwell lehnt sich über den Tisch und spricht mich mit verschwörerischer Stimme an. »Was, wenn wir eines Tages diese beiden Funktionen des Stoffwechsels programmieren oder Menschen darauf trainieren könnten? Stellen Sie sich einen ermüdungsfreien Soldaten vor, der extreme Temperaturen überleben könnte. Wir bräuchten fast keine Truppen mehr, sondern lediglich ein paar gut ausgebildete Individuen. Klingt jetzt erst mal nach Science-Fiction, aber nahezu jeder medizinische Fortschritt und jede Technologie, auf die wir uns heute stützen, hat sich wie Science-Fiction angehört, als man das erste Mal darüber nachdachte.«
Schweigen am Konferenztisch. Ich spüre, dass ich jetzt wohl irgendwas sagen sollte. Aber was? Die ganze Geschichte scheint mir doch ziemlich in meine Privatsphäre einzugreifen – all diese Menschen interessieren sich für meinen Körper aus Gründen, die ich bis gerade eben nicht kannte und auf die ich im Leben nicht gekommen wäre. Ich brauche ein bisschen Zeit, um das alles für mich zu sortieren und es irgendwie in meine Identität einzubauen. Pirio, die bionische Frau hört sich ziemlich schräg an. Aber genau das ist es, was sie mir hier anscheinend erzählen.
Ich brauche einen Donut. Ich stehe auf und gehe zu dem Beistelltisch, wo eine bislang unangetastete Auswahl steht. Ich entscheide mich für einen Schoko, einen glasierten und einen mit Gelee. Das ist jetzt nicht der Augenblick, um Kalorien zu zählen. Ich kehre mit dem Papierteller an den Tisch zurück und
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