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Die Frau die nie fror

Die Frau die nie fror

Titel: Die Frau die nie fror Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Elo
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schnell steigt. Nicht mehr lange, und man wird mir angewärmtes Wasser zu trinken geben. Dann duschen. Man ist der Meinung, dass ich keine Infusionen benötige.
    Eine große Erleichterung breitet sich in mir aus. Ich möchte jeden umarmen, der hier ist.
    Eileen sieht mitgenommen aus. Vielleicht hat sie mir verziehen. Der Frotteebademantel fühlt sich auf meinem nackten Körper herrlich an, aber meine Füße sind immer noch ungeschützt.
    »Hey«, sage ich, »krieg ich eigentlich irgendwann mal diese Flip-Flops?«
    *
    Mehrere Stunden später, nach einigen weiteren medizinischen Untersuchungen und einem Lunch, bestehend aus Schinken­sandwich, Käseflips, Chips Ahoy!-Schokokeksen und einer Flasche Eistee, werde ich in ein Besprechungszimmer im ersten Stock geführt. Jenseits der Fenster ergießt sich strahlender Sonnenschein auf einen hellgrünen Rasen. Vögel zwitschern, Blumen blühen, Palmwedel schaukeln im Wind. Es fällt schwer, an einem Ort wie diesem eine Bedrohung durch Krieg ernst zu nehmen. Aber die Flagge der Navy und die Flagge der Vereinigten Staaten stehen nebeneinander in einer Ecke des Raums wie vertraute Zwillingsbrüder, und drei der Leute am Tisch – Commander Stockwell, der Arzt und der Sportwissenschaftler – tragen Uniform. Die vierte Person, eine Frau etwa meines Alters, ist in Zivil. Sie wird mir als Trudy ­Flanagan vorgestellt, eine Psychologin. An jedem Platz liegen Aktenmappen, auf einem Beistelltisch stehen Donuts und Kaffee. Ich setze mich auf den einzigen freien Stuhl.
    Der Arzt beginnt. Er ist lang, schmal und so altertümlich wie ein viktorianischer Laternenpfahl mit einer großen Glühbirne als Kopf obendrauf. Er geht einige der Punkte durch, die Stockwell bereits sagte. Die Reaktion auf Kälte variiert bei unterschiedlichen Individuen erheblich, all das. Die Körper mancher Menschen stellen sofort den Betrieb ein, andere unterliegen der Hypothermie in normalem Tempo, und eine kleine Gruppe ist in der Lage, die wesentlichen Organe irgendwie warm zu halten. Das sind dann die, die es bis auf den Gipfel des Mount Everest schaffen. Meine Physiologie liegt, unterrichtet er mich, am Mount-Everest-Ende des Spektrums.
    Er reicht ein entsprechendes Datenblatt herum. Bevor er jedoch die Ergebnisse näher erläutert, rügt er mich, weil ich nicht in das Becken hätte springen dürfen; ich hätte behutsam ins Wasser eintauchen sollen, um die Daten sammelnde Ausrüstung nicht zu beschädigen. Wie sich herausstellt, hat der Sender dennoch funktioniert, aber das sei pures Glück gewesen.
    Manche Leute meinen, Gemecker sei nach einer Sache wie dieser geradezu ihre heilige Pflicht. Diese Leute sind das Letzte und verdienen nichts außer eiskalten, steinernen Blicken.
    Die Daten: Nach zwanzig Minuten ist meine Körpertemperatur auf 34 °C gesunken – leichte Hypothermie. Nach sechzig Minuten lag ich bei 32 °C, zitterte heftig, und meine Extremi­täten wurden blau. Zu diesem Zeitpunkt reagierte ich immer noch wie erwartet, obwohl das Abkühlen meines Körpers länger zu dauern schien als normal. Nach neunzig Minuten und bei einer Temperatur von 28 °C waren Puls und Atemfrequenz deutlich abgesenkt. Ich hatte die Gefahrenzone erreicht. Sie wollten mich schon herausholen, als sich etwas Merkwürdiges ereignete. Meine Temperatur begann wieder zu steigen. Langsam. Sie überprüften die Instrumente, warteten, berieten sich, trafen eine reine Ermessensentscheidung. Sie ließen mich im Becken. Fünfzehn Minuten später war ich wieder bei 34 °C, i­mmer noch kalt, aber ohne jedes Anzeichen von Stress. Ich hätte den Navy SEAL , der sich an den Beckenrand gesetzt hatte, tatsächlich Weichei genannt, weil er einen Neoprenanzug trug.
    Jetzt kichern alle mal nett.
    Der Arzt lächelt, sein Lächeln erreicht nicht die Augen. »Der physiologische Prozess hat sich tatsächlich umgekehrt. Wir haben absolut keine Ahnung, wie das ablief. So etwas haben wir noch nie bei einem Menschen beobachtet.«
    Ich lächle ihn kurz an. Ich habe keine Ahnung, was ich davon halten soll.
    Der junge Sportwissenschaftler tritt an die Stirnseite des Raumes. Mit seiner reizenden einzelnen Locke in seinem ansonsten kurz geschnittenen Haar sieht er so hip aus, wie es in einer Uniform eben möglich ist. Er dimmt das Licht und zieht eine Leinwand herunter. So ziemlich der letzte Film, den ich erwartet hätte, ist einer mit einem Dutzend Sibirischer Huskys, die an einem stehenden Schlitten befestigt sind, höllisch laut bellen und sich

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