Die Frau, die niemand kannte: Thriller (German Edition)
das Haar aus dem Gesicht strich und sich umsah. Sie versuchte nicht nur die Aufmerksamkeit der anderen Gäste auf sich zu ziehen, sondern hatte offenbar auch genau im Blick, ob und in welchem Ausmaß es ihr gelang – ein Verhalten, wie es nur eine unattraktive alleinstehende Frau an den Tag legen konnte.
Alle verhielten sich genau so, wie man es von ihnen erwarten würde.
Julia und Bill standen mit grimmigen Mienen an der Eingangstür.
»Hallo«, sagte Julia und legte ihren Mantel über einen freien Stuhl. »Du wolltest uns sprechen?« Sie tat so, als wäre dies ein Termin zwischen Geschäftspartnern, die sich an einen Tisch setzen wollten, um ihrem lange gehegten Groll endlich Luft zu machen.
Die Kellnerin trat an den Tisch. Sie bestellten etwas zu trinken. »Ihr irrt euch«, sagte Kate tonlos, nachdem sie verschwunden war.
Julia nickte, als stimme sie einem höchst erfreulichen Vorschlag zu, der Einladung zu einem Picknick am See an einem herrlichen Frühlingstag oder so. »Das Problem ist nur, Kate«, erklärte sie mit einem herablassenden Lächeln, »dass wir keinerlei Unterlagen über einen Vertrag zwischen Dexter und einer hiesigen Bank finden konnten.«
Kate war erstaunt, dass sie sich an einem so unwichtigen administrativen Detail aufzuhängen schienen. Sie sah den Vertrag noch vor sich, wie er in diesem harmlos aussehenden Umschlag zwischen ihren Hypothekenunterlagen steckte. Doch dann fiel ihr der Termin bei der Botschaft wieder ein, als der Mitarbeiter behauptet hatte, die Kopie von Dexters Arbeitserlaubnis liege den Behörden noch nicht vor. Es war kein unwichtiges Detail; es war Teil ihrer Beweiskette.
»Dexters Arbeitsverhältnis ist streng vertraulich«, erklärte Kate überflüssigerweise.
»Es gibt absolut keine Unterlagen darüber«, fuhr Julia fort, »wie Dexters Einkommen zustande kommt. Natürlich haben wir eure Konten überprüft, das heißt euer normales Bankkonto, das ihr gemeinsam eröffnet habt, mit sämtlichen Kreditkarten und Auszügen, die an eure Adresse geschickt werden. Wir haben also gesehen, dass es ein regelmäßiges Einkommen und regelmäßige Ausgaben gibt. Aber wir konnten nicht erkennen, woher das Einkommen stammt.«
Julia hielt inne und blickte Kate eindringlich an, ehe sie fortfuhr. »Sämtliche Transaktionen werden von einem Nummernkonto aus getätigt«, erklärte sie. »Anonym.«
»Darum geht es hier in Luxemburg doch, oder? Um das Bankgeheimnis.«
»Hast du jemals Kollegen von Dexter kennengelernt?«, fragte Julia weiter, ohne in irgendeiner Weise auf Kates Beiträge zur Unterhaltung einzugehen. »Oder seinen Arbeitsvertrag gesehen?«
Dies war die erste Anschuldigung, die Kate entkräften könnte. Einen Vertrag hatte sie mit eigenen Augen gesehen. Den Vertrag, den er in einem falsch beschrifteten Umschlag irgendwo gebunkert hatte. Doch sie schwieg.
»Hat er dir jemals eine Gehaltsabrechnung gezeigt? War Post von seinem Arbeitgeber im Briefkasten? Hat er irgendwelche Unterlagen ausgefüllt? Versicherungsanträge?«
Kate starrte auf die alte, zerschrammte Tischplatte. Natürlich konnte der Vertrag eine Fälschung gewesen sein. Natürlich war es so.
»Eine Visitenkarte? Eine Firmenkreditkarte? Oder einen Zugangsausweis zu den Büros?«
Die Kellnerin kam mit ihren Getränken, zwei Cola Light und einem Bier, und stellte sie mit einem dumpfen Knall auf den Holztisch.
»Hast du jemals irgendetwas gesehen, das beweisen könnte – nein, noch nicht einmal beweisen, das auch nur darauf hindeutet –, dass dein Ehemann überhaupt für eine Bank oder sonst ein Unternehmen arbeitet?«
Julia griff nach ihrem Glas und nippte daran. Sie machte keine Anstalten fortzufahren.
»Das sind ziemlich viele Indizien«, sagte Kate.
»Indizien reichen aber meistens nicht für eine Verurteilung. Aber fast immer, um die Wahrheit ans Licht zu bringen. Oder nicht?«
»Indizien verführen zu wilden Spekulationen.«
»In diesem Fall eher zu unwiderlegbaren Schlussfolgerungen.« Julia starrte Kate mit unerschütterlicher Überzeugung an, als versuche sie, sie über den Tisch hinweg auf Kate zu übertragen.
Kate wandte den Blick ab und sah aus dem Fenster, vor dem inzwischen die Schneeflocken tanzten. »Was wollt ihr?«, fragte sie schließlich. »Von mir, meine ich?«
Julia schwieg einen langen Moment, ehe sie genau die Worte aussprach, die Kate erwartet hatte. »Wir wollen, dass du uns hilfst.«
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»Dexter.«
Er blickte von seinem amuse-bouche auf. Dies galt als das
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