Die Frau, die niemand kannte: Thriller (German Edition)
Blutlache in einem verlassenen Steinbruch aus einem Horrorfilm.
»Ich glaube, das werden sie bald tun«, sagte Dexter. »Deshalb haben sie dich eingeweiht, jetzt, nach … wie lange leben sie schon hier? Vier Monate?«
»Worauf haben sie denn deiner Meinung nach die ganze Zeit gewartet?«
»Darauf, weitere Beweise zu finden. Dass wir anfangen, Unsummen auszugeben, uns dicke Schlitten, eine Jacht oder eine Villa an der Riviera kaufen. Luxushotels, Erste-Klasse-Flüge, Helikopter-Rundflüge um den Montblanc. All die Dinge, die man machen würde, wenn man fünfundzwanzig Millionen auf der Bank hätte.«
»Und wie wird das alles deiner Meinung nach enden?«
»Ich glaube jedenfalls nicht, dass wir irgendetwas Besonderes tun müssen«, meinte Dexter. »Wenn du mich fragst, sollten wir die Freundschaft zu Julia und Bill einfach nur beenden.«
»Und aus welchem Grund?«
»Wir brauchen ihnen keine Gründe zu nennen. Sie wissen, warum.«
»Nein, ich meine, was sagen wir unseren anderen Freunden?«
Dexter zuckte die Achseln. Ihn kümmerte all das nicht. Er hatte keine richtigen Freunde. »Weil Bill versucht hat, dich anzumachen?«, schlug er vor. »Oder Julia mich? Was ist dir lieber?«
Kates Gedanken kehrten zu der Weihnachtsparty in der Botschaft zurück, als Dexter und Julia aus der Küche gekommen waren. »Julia hat es bei dir versucht«, sagte sie. »Der Bruch zwischen ihr und mir ist wichtiger als einer zwischen dir und Bill.«
»Klingt einleuchtend.«
Kate betrachtete das mehrschichtige Schokoladenkunstwerk auf dem Teller, der inzwischen vor ihr stand. »Okay. Also reden wir einfach nicht mehr mit ihnen. Was sonst noch?«
»Früher oder später – wahrscheinlich eher früher – werden sie aufgeben. Sie haben nichts in der Hand. Und sie werden auch keine Beweise finden, weil es nämlich keine gibt.«
Kate versenkte ihre Gabel in der mit Schokolade überzogenen Torte, unter der mehrere verschiedenfarbige Schichten zum Vorschein kamen.
»Sie werden verschwinden«, fügte Dexter hinzu und durchstieß die Schale seines eigenen Desserts. »Und wir werden sie nie wiedersehen.«
Heute, 19:03 Uhr
Als Erstes sieht Kate den Mann, der von seinem Stuhl in einem der größeren, weniger exklusiven Touristencafés auf der anderen Straßenseite aufsteht und die Kreuzung überquert. Er trägt eine Sonnenbrille und hat einen Vollbart, wie man ihn auf den Straßen von New York und Los Angeles im Moment überall sieht. Kate kennt entsprechende Fotos aus Zeitschriften – heimliche Aufnahmen von Schauspielern, die am Sonntagmorgen mit einem Pappbecher in der Hand über den Beverly Drive gehen.
Kate wird klar, dass die beiden, verborgen hinter ihren Sonnenbrillen, in dem anderen Café gesessen und zugesehen haben, wie sie und Dexter die Brasserie betreten und auf sie gewartet haben. Ihre Gründlichkeit ist beeindruckend und schüchtert Kate beinahe ein wenig ein. Dass sie nach all der Zeit immer noch die Energie aufbringen …
Nur gut, dass Kate mit der Zuckerdose so vorsichtig war, als sie sich hingesetzt hat. Umsicht zahlt sich immer aus.
»Bonsoir«, sagt der Mann, während die Frau Begrüßungsküsse verteilt.
Sekunden später steht der Kellner vor ihnen, bemüht, sich um Monsieur Moore und seine Gäste zu kümmern. Monsieur Moore gehört zu denen, die hier stets großzügiges Trinkgeld geben. Wie auch sonst überall.
»Und wie geht es euch?«, fragt Dexter.
»Nicht schlecht«, antwortet Bill. »Alles andere als schlecht.«
Der Kellner erscheint und präsentiert Dexter die Flasche, der sie in Augenschein nimmt und nickt.
»Lebt ihr jetzt hier?«, fragt Bill.
Dexter nickt.
Der Korken löst sich mit einem lauten Ploppen. Der Kellner schenkt Dexter einen Schluck ein. Dexter probiert und nickt erneut, worauf der Kellner die vier Gläser zur Hälfte füllt, während die Gäste schweigend zusehen.
Die vier Amerikaner sehen einander an, unfähig, ein Gespräch zu beginnen. Kate fragt sich immer noch, welchen Zweck diese Begegnung haben könnte und was sie tun kann, um sie für sich möglichst gut zu nutzen. Sie verfolgt ihre eigenen Ziele. Ihr ist klar, dass Dexter und Julia höchstwahrscheinlich andere Zwecke verfolgen, von denen nur sie beide wissen, und Bill möglicherweise auch. Vielleicht verfolgt aber auch Bill seine eigenen Ziele. Oder keiner von ihnen.
»Tja«, sagt Dexter und sieht zuerst Julia an, dann Bill. »Ich habe eine Nachricht erhalten. Wegen des Colonel.«
Julia legt die Hände auf die
Weitere Kostenlose Bücher