Die Frau, die niemand kannte: Thriller (German Edition)
Kate zu. Der Motor lief noch, die Scheinwerfer brannten, die Heizung blies warme Luft aus den Düsen.
Sie dachte an die Wanze und überlegte einen Moment lang, ob sie Dexter bitten sollte, aus dem Wagen zu steigen, damit niemand ihr Gespräch mithören konnte. Andererseits wussten das FBI und Interpol ohnehin längst, was sie ihm gleich sagen würde, weshalb sich also die Mühe machen?
»Dexter«, sagte sie, »ich habe nie Positionspapiere verfasst.«
Sie hatte Mühe, im düsteren blauen Schein der Armaturenbeleuchtung den Ausdruck auf seinem Gesicht zu erkennen. Sie unterdrückte den Drang, den Blick abzuwenden, damit er ihr nicht in die Augen sehen konnte.
»Und ich habe auch nie für das Außenministerium gearbeitet.«
Ein Sattelschlepper fuhr mit dumpf grollendem Motor an ihnen vorbei. Kate wartete, bis der Lärm verebbt war.
»In Wirklichkeit habe ich –«
Sie hielt inne. Sie wusste zwar, was sie sagen wollte, aber nicht, wie Dexter darauf reagieren würde. Sie nahm ihre Armbanduhr ab und schob sie in das Seitenfach neben ihrem Sitz. »Komm, wir holen uns einen Kaffee.«
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Dexter warf die Münze in den Schlitz des Kaffeeautomaten, drückte eine Taste und wartete ab, bis sein Espresso zischend aus der verfärbten Plastikdüse in den Pappbecher geflossen war.
Sie setzten sich an einen der Tische vor einem riesigen Fenster, das auf die Autobahn hinausging. Auf der anderen Seite des Raums saß ein Pärchen. Die Frau hatte vom Weinen verquollene Augen. Was auch immer sich zwischen ihnen abspielen mochte – eine Trennung, eine ungewollte Schwangerschaft oder eine Affäre –, die beiden waren viel zu sehr mit ihren eigenen Problemen beschäftigt, um zu versuchen, etwas von denen anderer Leute mitzubekommen.
Es brachte nichts, um den heißen Brei herumzureden. Kate streckte den Arm aus und griff nach Dexters Hand. »Ich habe für die CIA gearbeitet«, sagte sie. »Ich war das, was man landläufig als Spionin bezeichnen würde.«
Dexters Augen weiteten sich.
»Mein Job bestand darin, mich um unsere Kontakte in Lateinamerika zu kümmern. Ich habe in El Salvador, in Venezuela, Nicaragua, Panama und Guatemala gearbeitet. Aber die meiste Zeit in Mexiko.«
Er sah aus, als wolle er etwas sagen, tat es aber nicht.
»Ich habe gleich nach dem College bei der Firma angefangen. Einen anderen Job hatte ich nie. Schätzungsweise habe ich mich für diese Karriere entschieden, weil ich dachte, ich sei sowieso nicht fähig, irgendjemanden zu lieben. Meine Erfahrungen mit meinen Eltern, meiner Schwester … ich war innerlich wie betäubt und dachte, dass es so etwas wie wahre Intimität für mich niemals geben würde. Ich dachte, ich würde nie eine eigene Familie haben.«
Kate drückte Dexters Hand, um ihren Worten Nachdruck zu verleihen.
»Ich dachte, ich würde für immer allein bleiben, Dexter. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass ich jemals jemanden belügen müsste, den ich liebe, weil ich sicher war, dass es niemals jemanden geben würde, den ich von Herzen liebe. Ich war jung, ein emotionales Wrack, und ich konnte mir nicht vorstellen, wie es ist, nicht mehr jung und kein Wrack mehr zu sein. Erinnerst du dich noch, wie es sich angefühlt hat, jung zu sein?«
Er nickte, noch immer stumm.
»Ich konnte mir nicht vorstellen, wie kurz die Jugend ist. Es schien, als würde sie ewig dauern. Für immer. Dabei war es kaum mehr als ein Wimpernschlag.«
Die Frau am Tisch am anderen Ende der Cafeteria schluchzte laut auf.
»Als wir uns kennengelernt haben, wollte ich dir natürlich die Wahrheit über mich nicht sagen, weil ich dachte, nach einem halben Jahr würde ich sowieso Schluss mit dir machen. Oder du wärst frustriert, weil ich so verschlossen bin, und würdest mich schon bald abservieren. Ich dachte, zwischen uns würde nie eine echte Bindung entstehen, weil ich so etwas eben noch nie mit jemandem erlebt hatte.«
Dexter musterte sie eindringlich.
»Aber ich habe mich geirrt. Ich habe mich in dich verliebt.«
Kate blickte den Mann an, der die Raststätte betrat und zu ihr herübersah. Sie hoffte, dass eines Tages nicht sofort sämtliche Alarmglocken in ihrem Kopf schrillten, nur weil jemand an ihr vorbeiging.
»Ich wollte es dir sagen, Dexter. Bitte glaub mir. Ich habe Tausende Male darüber nachgedacht. Fast jeden Tag, all die Jahre, die wir uns kennen. Aber wann hätte ich es dir sagen sollen? Wann hätte ich diese Grenze überschreiten sollen?«
Es waren beinahe dieselben Worte, die Dexter in
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