Die Frau, die niemand kannte: Thriller (German Edition)
Argwohn gegenüberstand. Kate hingegen nicht. Sie hatte ihre Hausaufgaben längst gemacht und festgestellt, dass Dexter über jeden Verdacht erhaben war. Aus diesem Grund hatte sie sich überhaupt gestattet, ihn zu heiraten.
Aber natürlich wussten die Leute nichts von all dem. Ihr Argwohn war nur verständlich. Vielleicht sollte sie ebenfalls argwöhnisch sein. Aber sie hatte sich vor langer Zeit geschworen, es nicht zu sein.
»Verstehen Sie viel von seiner Arbeit?«, bohrte Adam weiter.
»So gut wie nichts.«
Adam musterte sie, wartete auf eine weitere Erklärung. Doch sie wollte sie nicht geben, zumindest nicht laut. Sie wollte sie nicht einmal für sich selbst, im Geiste, formulieren. Die Wahrheit war, dass sie Dexters Welt nicht verstehen wollte , weil er ihre Welt nicht verstehen sollte . Quid pro quo.
Adam schien Schweigen als Antwort nicht gelten lassen zu wollen. »Wieso nicht?«
»Solange wir nicht über seine Arbeit redeten, bestand kein Anlass, über meine zu reden.«
»Und jetzt?«
Kate starrte den Mann an, diesen wildfremden Mann, der Details ihres Privatlebens aus ihr herauszuquetschen versuchte. Antworten auf Fragen, die sie sich nicht einmal selber stellte; Antworten, die sie nicht hören wollte. »Was jetzt?«
»Werden Sie ihm nun, da Sie uns verlassen werden, etwas über Ihre Arbeit erzählen?«
Heute, 10:54 Uhr
Kate tritt einen Schritt vor und hebt die Arme. Die beiden Frauen umarmen sich, wenngleich mit allergrößter Vorsicht und Zurückhaltung, als wollte keine den sorgsam arrangierten Schal oder die Frisur der anderen zerdrücken. Vielleicht aber auch aus einem ganz anderen Grund.
»Wie schön, dich zu sehen«, sagt die Frau mit leiser, ernster Stimme in Kates Haar hinein. »So schön.«
Als sie sich voneinander lösen, lässt sie ihre Hand auf Kates Arm liegen. Die Berührung fühlt sich aufrichtig freundlich und warmherzig an, doch es könnte auch sein, dass sie Kate mit ihrem sanften, aber unnachgiebigen Griff lediglich daran hindern will, sich von der Stelle zu bewegen.
Kate malt sich nicht nur aus, dass alle Leute sie beobachten, sondern ist auch in jeder anderen Hinsicht argwöhnisch. In jeder.
»Lebst du hier? In Paris?«
»Den Großteil des Jahres«, antwortet Kate.
»Hier in diesem Viertel?«
Rein zufällig blickt Kate in die Richtung ihres Apartments, das nur wenige Blocks entfernt liegt. »Ja, ganz in der Nähe«, antwortet sie.
»Und den Rest des Jahres?«
»Wir verbringen die Sommer in Italien. In einem gemieteten Haus.«
»Italien? Wunderbar. Wo dort?«
»Im Süden.«
»An der Amalfiküste?«
»So ungefähr«, erwidert Kate ausweichend. »Und du? Wo lebst du inzwischen?«
»Oh …« Flüchtiges Achselzucken. »Ich habe mich nach wie vor nicht endgültig niedergelassen. Mal hier, mal da.« Sie lächelt. Eigentlich ist es ein Grinsen.
»Und«, sagt Kate mit einer Handbewegung in Richtung der winzigen Straße – schließlich ist die Rue Jacob nicht gerade die Champs-Elysées oder der Boulevard St. Germain, »was hat dich in diese Ecke von Paris verschlagen?«
»Einkäufe.« Sie schwenkt eine kleine Tüte, wobei Kate der Verlobungsring an ihrem Finger auffällt, ein bescheidener Brillant, wo früher einmal ihr Ehering gesteckt hat. Das Fehlen des Eherings ist durchaus einleuchtend, die Tatsache, dass stattdessen ein Verlobungsring an ihrem Finger prangt, eher irritierend.
Wenn es früher etwas gab, was diese Frau mit Begeisterung in Straßen wie der Rue Jacob tat, dann war es Einkaufen. Antiquitäten, Stoffe und Möbel und Bildbände über Antiquitäten, Stoffe und Möbel. Kate hatte ihre Einkaufsbegeisterung allerdings für reine Fassade gehalten.
Niemand durchblickt wirklich, was an dieser Frau echt ist. Falls überhaupt etwas echt ist.
»Natürlich«, sagt Kate.
Sie sehen einander einen Moment lang an; das Lächeln wie festgefroren.
»Hör zu, ich würde schrecklich gern über alte Zeiten plaudern und hören, wie es euch ergangen ist. Ist Dexter auch hier?«
Kate nickt.
»Wollen wir heute Abend etwas trinken gehen? Oder essen?«
»Das wäre nett«, sagt Kate. »Ich muss ihn nur fragen, ob es heute Abend bei ihm geht.« Ihr wird bewusst, dass die Frau sie gleich bitten wird, ihn doch sofort anzurufen. »Ich kann ihn nur im Moment nicht anrufen«, sagt sie deshalb.
Sie kramt in ihrer Handtasche nach ihrem Handy, um Zeit zu schinden, während sie ihr Gehirn nach einer logischen Erklärung durchforstet. »Er ist beim Sport«, erklärt sie. Das
Weitere Kostenlose Bücher