Die Frau, die niemand kannte: Thriller (German Edition)
sich elegant durch das Gewirr aus Armen, Beinen, Tellern, Schüsseln, klirrenden Gläsern und klapperndem Besteck.
Der Kellner hielt seine Nase tief in das Ballonglas und prüfte mit gefurchter Stirn die Qualität des Weins, den er gleich servieren würde. Schließlich zog er die Augenbrauen hoch. »Pas mal«, sagte er. »Nicht übel.« Er tänzelte um den Tisch herum, um allen vier Gästen einschenken zu können.
Kate blickte hinaus auf das reich verzierte Art-nouveau-Geländer des Balkons am Haus gegenüber. Hinter den weißen, gebauschten Vorhängen brannte warmes Kerzenlicht, und Kate sah Schatten hin und her gehen. Offenbar feierten die Leute eine Party. Eine Frau schob die Gardinen auseinander und blies Zigarettenrauch durch den Spalt zwischen den raumhohen Türen.
Die Männer unterhielten sich übers Skifahren. Bill gab Geschichten über Zermatt, Courchevel und Kitzbühel zum Besten. Er gehörte zu der Sorte Mann, die auf jedem Gebiet ein ausgewiesener Experte war. Natürlich hatte er ein Lieblingsresort in den Alpen, eine Lieblingsinsel in der Karibik und einen Lieblings-Bordeaux. Er kannte sich mit Skibindungen und der Besaitung von Tennisschlägern aus, hatte ein bevorzugtes britisches Rugbyteam und eine Lieblingssendung aus den Sechzigern, die längst Kult war.
Dexter hing förmlich an seinen Lippen.
Bill griff nach der Flasche und verteilte den restlichen Wein auf die vier Gläser. Dann warf er einen Blick auf seine Armbanduhr – eines dieser klobigen Angeberdinger mit massivem Metallband. Dexter trug eine Timex aus dem Supermarkt.
»Fast Mitternacht«, stellte Bill fest.
»Wollen wir noch eine Flasche bestellen?«, fragte Julia in die Runde.
»Na ja, das könnten wir machen«, sagte Bill und beugte sich mit Verschwörermiene vor. »Oder wir gehen in diesen Club, den ich kenne.«
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»Nous sommes des amis de Pierre«, sagte Bill zum Türsteher.
Sie standen auf dem Gehsteig eines breiten, ruhigen Boulevards direkt hinter der Pont d’Alma.
»Est-il chez lui ce soir?«
Der Mann hinter dem roten Vorhang war ein schwarzer kahlköpfiger Riese. »Votre nom?«
»Bill Maclean. Je suis américain.«
Der Mann grinste angesichts dieser Offensichtlichkeit und nickte in Richtung eines gertenschlanken Mädchens in einem silbernen Etuikleid, das mit einer Zigarette in der Hand dastand. Sie schnippte den Stummel weg und schlenderte hinein.
Die vier warteten inmitten einer Traube von Gästen. Vielleicht waren auch sie angeblich Freunde von Pierre.
So etwas hatten Dexter und Kate in D. C. noch nie gemacht. Und auch sonst nirgendwo auf der Welt. Er nahm ihre Hand. Seine Fingerspitzen fühlten sich kalt an, als er mit dem Zeigefinger ihre Handfläche kitzelte. Kate unterdrückte ein Kichern.
Das Zigarettenmädchen kehrte zurück und nickte dem Türsteher zu, ehe sie sich eine weitere Zigarette anzündete und erneut in ihre gelangweilte Haltung verfiel.
»Bienvenu, Biel«, sagte der Türsteher.
Ein weiterer Schwarzer – allerdings mit kurzem Afroschnitt –, der hinter dem Absperrseil stand, öffnete einen Messingring und ließ sie eintreten.
Bill schob seine Frau durch die Lücke, ehe er sich Kate zuwandte. Obwohl er seine Finger ganz sanft auf ihren Rücken legte, spürte sie sie deutlich durch das Seiden-Woll-Gewebe ihres Mantels. Kate wusste schlagartig, was sich hinter der Berührung verbarg. Seine Frau hatte er völlig anders angefasst.
»Merci beaucoup.« Bill schüttelte dem Türsteher die Hand.
Sie betraten einen roten, schummrig beleuchteten Eingangsbereich. Kate streckte die Hand aus und strich mit den Fingern über die matten Samtlilien auf der glänzend roten Satintapete. Sie gingen einen Korridor entlang, der immer breiter wurde und in einen Raum mit einer Bar mündete. Bill bestellte eine Flasche Champagner, legte seine Kreditkarte auf den glänzenden Tresen, und der Barkeeper griff danach und schob sie in ein offenes Fach neben der Kasse.
Hinter der Bar waren mehrere niedrige Tische und Sofas um eine kleine Tanzfläche gruppiert. Zwei Frauen umtanzten spielerisch einen Mann, der reglos dastand und lediglich rhythmisch den Kopf bewegte. Minimalistisches Tanzen.
Bill lehnte sich zu Kate. »Es ist noch sehr früh«, erklärte er. »Später kommen noch mehr Leute.«
»Früh? Es ist doch schon Mitternacht.«
»Dieser Club macht erst um elf Uhr auf. Vorher würde sowieso keiner kommen.«
Sie traten vor den Tisch, an dem ein schlanker Mann mit olivfarbenem Teint saß. Er stank
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