Die Frau, die niemand kannte: Thriller (German Edition)
Wieder mal.
»Alles in Ordnung?«
»Ja, ich gehe Tennis spielen. Mit Bill.«
Vier Tage waren vergangen, seit die beiden Paare um halb fünf Uhr früh auf der Avenue George V. in getrennte Taxis gestiegen waren, und seitdem war kein Wort mehr über Julia und Bill gefallen.
»Er hat ein abonnement für einen Platz in einem Club, und der Partner, mit dem er sonst immer spielt, hat abgesagt.«
Vor ihrem geistigen Auge erschien Bill in der Umkleidekabine, mit nacktem Oberkörper, wie er seine Gürtelschnalle öffnete und seine Hose …
Kate stellte das Telefon auf die Ladestation neben dem Laptop und sah aus dem Fenster. Doch wo sich sonst ein majestätischer Anblick bot, war jetzt eine dichte graue Wand aus Wolken, Nebel und Regen zu sehen.
Sie war soeben von einem weiteren Mittwochnachmittag im Sportclub in Kockelscheuer und einem Gespräch über Bikinizonen-Waxing zurückgekehrt. Früher einmal hatte sie zu den Menschen gehört, die etwas auf die Beine stellten, etwas bewirkten; sie war nicht nur einer gewöhnlichen Arbeit nachgegangen, es war um Leben und Tod gegangen. Sie hatte illegal Landesgrenzen überschritten, die Polizei an der Nase herumgeführt. Sie hatte Profikiller angeheuert, verdammt noch mal. Und jetzt verbrachte sie ihre Tage damit, die Wäsche zusammenzulegen. Was war aus ihrem Leben geworden?
»Wann kommt Daddy nach Hause?«, fragte Jake, seinen Teddy fest an die Brust gedrückt, während sein Bruder schweigend neben ihm stand.
»Tut mir leid, Schatz«, sagte Kate. »Aber ihr werdet schon im Bett sein und schlafen, wenn er nach Hause kommt.«
Wütend drehte Ben sich um und stapfte davon. Jake blieb stehen. »Wieso?«, fragte er. »Wieso kommt er nicht nach Hause?«
»Er würde ja gern, Schatz. Aber manchmal muss er vorher noch andere Dinge erledigen.«
Der Junge wischte sich eine Träne ab. Kate nahm ihn in die Arme. »Es tut mir leid, Jake. Aber ich sorge dafür, dass Daddy dir einen Kuss gibt, wenn er nach Hause kommt, versprochen. Okay?«
Er nickte und kämpfte gegen die Tränen an, ehe er geknickt davonschlurfte und sich zu seinem Bruder gesellte, der mit seinen Legosteinen spielte.
Kate setzte sich an den Computer, schob ein paar Unterlagen beiseite – Mietmöbel Luxemburg, Luxemburger Schulen und Luxemburger Handwerker – und wartete auf das Signal, dass er sich eingeloggt hatte. Sie starrte auf den Bildschirm und fragte sich, ob es richtig war, was sie gleich tun würde. Was sie eigentlich zu finden hoffte und ob sie es tatsächlich finden wollte oder lieber nicht.
Der Gedanke, dass sie genau das tat, was von ihr erwartet wurde, kam ihr nicht.
Aber bevor sie irgendwas tun konnte, läutete das Telefon.
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»Tausend Dank«, sagte Julia. »Ohne Internet fühle ich mich komplett von der Welt abgeschnitten.«
»Kein Problem.« Kate schloss die Tür hinter Julia. »Das kann ich gut verstehen. Jungs, begrüßt ihr Julia auch?«
»Hi.«
»Hallo.«
Sie stürmten in die Küche und machten sich wieder an die Arbeit: Ben schälte Karotten, und Jake säbelte sie in Stücke. Beide standen auf Hockern vor der Arbeitsplatte, voll und ganz in ihre Aufgabe vertieft und sorgsam darauf bedacht, sich nicht in den Finger zu schneiden.
»Du hast ja zwei Souschefs«, bemerkte Julia.
»Genau.« Die Jungs halfen ihr bei der Zubereitung eines poule au pot . Das Kochbuch lag aufgeschlagen auf der Arbeitsplatte neben einem halben Dutzend weiterer Kochbücher, die sie bei Amazon in England bestellt hatte.
Julia betrat das Wohnzimmer. »Wow«, rief sie, als sie die Aussicht bemerkte. »Was für eine tolle Wohnung!«
»Danke.«
Sie standen im Wohnzimmer, durch zwei Türen von den Jungs getrennt und damit außer Hörweite. Falls der Samstagabend noch einmal zur Sprache kommen sollte, wäre dies der richtige Zeitpunkt dafür. Doch es geschah nichts.
»Tja, hier steht der Computer«, sagte Kate mit einer Geste in Richtung Gästezimmer.
»Noch mal danke. Ich bin dir unendlich dankbar. Mehr als zehn Minuten brauche ich wahrscheinlich gar nicht.«
»Lass dir ruhig Zeit.« Kate ließ Julia allein.
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Die Kinder schliefen schon, Dexter war noch mit Bill beim Tennis, und Kate war allein. Im düster-grauen Schein des Bildschirms lagen ihre Hände auf den Tasten, die Zeigefinger auf den Erhebungen des J und des F. Ein Gefühl der Wärme, ein leises Prickeln durchströmte sie. Sie suchte nach einer Beschäftigung, irgendetwas, um ihre Langeweile zu vertreiben. Und einem Bild, um ihre Phantasie
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