Die Frau, die niemand kannte: Thriller (German Edition)
Sarajevo?« Dies war bereits Dexters zweite Reise dorthin, außerdem war er in Liechtenstein, Genf, London und Andorra gewesen.
»Ich helfe ein paar Kunden der Bank, ihre Sicherheitsvorkehrungen zu verbessern.«
»Hat die Bank denn keine eigenen Leute für so etwas?«, fragte sie. »In Bosnien?«
»Dafür bezahlen sie mich nun mal. Damit verdiene ich unseren Lebensunterhalt, Kat.«
»Kate.«
Er zuckte mit den Achseln. Sie machte den Mund auf, wollte ihn anschreien, verkniff es sich aber im letzten Moment. Nicht vor den Kindern.
Kate schlug die Badezimmertür hinter sich zu und beugte sich übers Waschbecken. Tränen stiegen ihr in die Augen. Sie fuhr sich mit der Hand zuerst über das eine, dann über das andere Auge, aber es nützte nichts. Die Tränen flossen immer weiter. Die Unabänderlichkeit ihres Alleinseins, das Gefühl, ausgeschlossen zu sein, war überwältigend. Wie sollte sie es jemals schaffen, sich so zu fühlen wie all die anderen Frauen, die mit ihrem Leben vollkommen zufrieden zu sein schienen? Zufrieden damit, im Café zu sitzen, über Banalitäten zu lachen und sich über die wirksamsten Methoden gegen ungewollten Haarwuchs auszutauschen. Die zumindest den Anschein erweckten, als führten sie ein wunderbares Leben, vor sich und allen anderen.
Kate und Dexter führten kein wunderbares Leben. Noch nicht. Sie hatten bei den Behörden notariell beglaubigte Kopien ihrer Pässe, Geburts- und Heiratsurkunden vorgelegt und eine Aufenthaltserlaubnis beantragt. Sie hatten Bankkonten eröffnet und Versicherungspolicen ausgefüllt, Mobiltelefone und kleinere Haushaltsgeräte, Ikea-Möbel und gefrorene Fleischbällchen gekauft. Sie waren in die zweitgrößte Stadt des Landes, Esch-sur-Alzette, gefahren, um einen gebrauchten Audi mit Automatikgetriebe und nicht einmal fünfzigtausend Kilometern auf dem Tacho zu kaufen.
Sie hakten Punkte auf ihrer To-do-Liste ab, die mit einem Magneten am Kühlschrank befestigt war. Neunzehn Punkte standen darauf. Fünfzehn davon hatten sie inzwischen durchgestrichen.
Der letzte Punkt war unterstrichen: Leben!
Vielleicht war das Ganze ein schrecklicher Fehler.
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»Ich weiß nichts Genaues über Torres«, hatte Kate gesagt.
»Dann vielleicht etwas Ungenaues?«
Kate musste sich zwingen, den Blick nicht abzuwenden. Genau auf diese Fragen hatte sie gewartet, seit sie den Raum betreten hatte. Eigentlich wartete sie seit fünf Jahren darauf.
»Torres hatte massenhaft Feinde«, sagte sie.
»Ja, aber zum Zeitpunkt seines Todes war er ganz unten. Auf dem absoluten Tiefpunkt. Ein ungewöhnlicher Zeitpunkt, um jemanden zu beseitigen.«
Kate hatte Mühe, Evan ins Gesicht zu sehen. »Ressentiments«, sagte sie, »sind zeitlos.«
Evans Stift schwebte über seinem Notizblock, doch es gab nichts, was sich aufzuschreiben lohnte. Er tippte mit der Spitze auf das Papier, viermal, ganz langsam.
»Allerdings«, sagte er.
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»Na, so was. Was für eine angenehme Überraschung.«
Kate bog in die Grand Rue ein, in der sich Bäckereien, chocolatiers, Fleischer, Wäscheboutiquen, Schuhgeschäfte, Apotheken und Juweliere aneinanderreihten. Morgens war die Fußgängerzone vorübergehend für Lieferfahrzeuge geöffnet. Kleinlaster krochen die Straße entlang oder parkten vor den Geschäften. Verkäuferinnen schlossen die Ladentüren auf, schoben Kartons hin und her, überprüften Frisur und Make-up. Lieferanten schoben Sackkarren durch die Gassen und wuchteten schwere Kisten in die Läden. Und ausgerechnet hier lief sie Bill Maclean, dem nicht existierenden Währungshändler aus Chicago, in die Arme.
»Ja«, sagte Kate. »Allerdings. Was lockt dich denn um diese Uhrzeit schon aus dem Büro?«
Eigentlich hatte Kate Dexter vom Ergebnis ihrer Recherche erzählen wollen. In gewisser Weise amüsierte es sie, dass die Macleans zumindest teilweise reine Erfindung waren. Sie könnten in den Staaten pleitegegangen sein, sich auf der Flucht befinden, in ein Zeugenschutzprogramm gesteckt worden sein oder der Mafia angehören und versuchen, hier unterzutauchen. Bankräuber, Mörder, gefährliche Kriminelle auf der Flucht. Oder vielleicht gehörten sie ja der CIA an.
Aber es sprach einiges dagegen, Dexter von ihrer Entdeckung zu erzählen: Erstens waren die beiden Männer recht schnell Freunde geworden; sie hatten ein weiteres Mal zusammen Tennis gespielt und waren anschließend zum Essen gegangen, von dem Dexter ziemlich spät und unübersehbar fröhlich nach Hause gekommen war.
Als Paar
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