Die Frau, die niemand kannte: Thriller (German Edition)
langsam über die etwa anderthalb Zentimeter breite Türeinfassung, in der Hoffnung einen Schlüssel für diese unbewohnte Wohnung zu finden. Fehlanzeige.
Sie stand reglos da und lauschte.
Nichts.
Eilig, aber leise machte sie sich daran, das einfache Standardschloss zu knacken. Innerhalb von dreißig Sekunden sprang es mit einem leisen Klicken auf.
Sie betrat einen großen, staubigen, leeren Raum, der lediglich ein einziges Fenster besaß. Sie öffnete es und beugte sich hinaus. Wie erwartet, befand sie sich unmittelbar neben den Fenstern von Bills Büro, unter denen ein schmaler Sims verlief. Sie konnte es schaffen. So etwas hatte sie schon einmal gemacht. Sie holte tief Luft und kletterte hinaus.
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Im strömenden Regen stand Kate auf dem zwanzig Zentimeter breiten Fenstersims drei Stockwerke über dem Boden und klammerte sich an der Hausfassade fest.
Hier konnte einiges schiefgehen. Jemand könnte sie sehen, sie musste sich also beeilen. Sie könnte abrutschen und in die Tiefe stürzen, sie musste also gut aufpassen.
Zentimeterweise schob sie sich seitwärts, das Gesicht gegen den feuchten Putz gepresst.
Sie hörte ein Geräusch, zuerst hinter ihr, dann unter ihr. Sie drehte sich etwas zu schnell um und riss sich die Wange an der Hauswand auf. Das Geräusch stammte von einem Ast, der über das Dach eines Wagens schrappte.
Es fühlte sich an, als blute ihre Wange, doch sie konnte die Hände nicht von der Hauswand lösen, ohne das Gleichgewicht zu verlieren.
Sie kroch weiter, Zentimeter um Zentimeter, ganz langsam … noch ein Stück … und dann hatte sie es geschafft. Sie stand auf dem Fensterbrett von Bills Büro.
Sie hielt inne und gestattete sich ein paar Sekunden Ruhe, ehe sie sich der nächsten Aufgabe zuwandte.
Sie hatte Angst, doch die Angst fühlte sich gut an, wie dieser angenehme Schmerz, wenn man auf einen blauen Fleck drückt, um sich des Schmerzes nur umso bewusster zu werden.
Genau hierher gehörte sie, auf dieses Fensterbrett. Genau das war es, was ihrem Leben die ganze Zeit gefehlt hatte.
Sie zog einen winzigen flachen Schraubenzieher aus ihrer Gesäßtasche und fuhr ganz langsam und vorsichtig damit am Fenstersaum entlang, bis sie auf den Schnappverschluss stieß.
Sie hielt einen Moment inne, dann zog sie ihn nach oben.
Das Schloss sprang nicht auf.
Sie versuchte es noch einmal, diesmal noch behutsamer.
Wieder nichts.
Kate zwang sich, nicht in Panik zu geraten. Noch langsamer fuhr sie mit der dünnen, scharfen Kante zwischen dem Fensterpfosten und dem Rahmen entlang.
Genau das hatte sie an ihrem eigenen Fenster geübt. Mitten in der Nacht, damit niemand es mitbekam. Sie hatte geschlagene zwanzig Minuten gebraucht, zwölf Meter über der Kopfsteinpflasterstraße auf dem Fensterbrett stehend, doch am Ende hatte sie gewusst, wie sie den Schraubenzieher drehen musste, um nicht nur das Schloss zu lösen, sondern das Fenster dabei auch so zu öffnen, dass es lediglich am vertikalen und nicht am horizontalen Scharnier aufging.
Der Mechanismus des Fensters war genau derselbe wie bei ihr zu Hause.
Sie hatte es geübt. Es musste funktionieren.
Es musste.
Sie versuchte es noch einmal. Ganz langsam und vorsichtig … klick.
Mit dem Knie drückte sie leicht gegen die Seite des Fensters, auf der sich die Scharniere befanden, worauf das Fenster langsam aufschwang. Sie kauerte für einen Moment auf dem Fensterbrett und stützte sich mit den Händen an der Außenfassade ab. Dann ließ sie sich nach vorn fallen, in den Raum hinein, streckte die Hände aus, um ihren Fall zu dämpfen, und rollte seitwärts über die polierten Marmorfliesen.
Einen Augenblick lang lag sie reglos da und versuchte, sich zu beruhigen und ihren Puls unter Kontrolle zu bekommen. Natürlich hatte sie damit gerechnet, dass ihr Herz schneller schlagen würde, aber das hier war eindeutig zu heftig.
In diesem Zustand konnte sie unmöglich weitermachen. Sie wollte keine dummen Fehler begehen. Sie schloss die Augen und lag ganz still da, um ihren Körper zu zwingen, sich zu entspannen.
Schließlich stand sie auf und sah sich um.
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Im hinteren Teil des Raums stand ein Hometrainer vor einem kleinen Fernseher, außerdem gab es eine Trainingsbank und diverse Hanteln und Gewichtsscheiben sowie eine Übungsmatte.
Der Raum war mit einem Schreibtisch ausgestattet, auf dem ein Laptop, ein Drucker und ein Telefon standen; daneben lag ein Notizblock, an dem schon mehrere Blätter fehlten. Kate riss das oberste ab,
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