Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Frau, die niemand kannte: Thriller (German Edition)

Die Frau, die niemand kannte: Thriller (German Edition)

Titel: Die Frau, die niemand kannte: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chris Pavone
Vom Netzwerk:
zerfallen, streben auseinander. Und dabei dachte Kate die ganze Zeit, sie hätte das Rätsel längst gelöst.
    Sie blickt in das vertraute Gesicht vor ihr, in die optimistische Miene eines jungen Menschen kurz vor dem Collegeabschluss, der für die Nachwelt in die Kamera lächelt.
    Die möglichen Erklärungen prasseln wie ein Maschinengewehrfeuer auf sie ein, so heftig, dass ihr nichts anderes übrig bleibt, als in Deckung zu gehen und zu warten, bis es abebbt und sie Atem schöpfen kann.
    Kate registriert eine Bewegung am anderen Ende des Raums, doch dann stellt sie fest, dass es nur sie selbst ist. Eine Haarsträhne im Spiegel am anderen Ende des Raums, ein winziges Stück von ihr, losgelöst vom unsichtbaren Rest. Sie steht auf und stellt das Buch wieder zwischen die anderen Bücher, mitten in ihrem Wohnzimmer, mitten in ihrem Leben. Die besten Verstecke sind meist nicht diejenigen, die im Verborgenen liegen, sondern jene, an denen niemand nachsieht.
    Das Jahrbuch hat sein Geheimnis preisgegeben. Kate hält die Information in Händen, die Realität, die alles von Grund auf verändert. Noch nie hat sie sich so verraten gefühlt. Gleichzeitig eröffnen sich völlig neue Möglichkeiten. Neue Türen. Sie weiß zwar noch nicht, was sich dahinter verbirgt, doch sie sieht bereits das Licht herausdringen.
    Mit einem Schlag hat sich alles verändert.

13
    Kate war sauer auf Dexter. Er hatte eine halbe Ewigkeit gebraucht, um die Standardeinstellung am Tempomaten ihres Mietwagens von 130 auf 160 Stundenkilometer zu verstellen. Und trotzdem preschte noch die Hälfte der Autos auf der A8 an ihnen vorbei.
    Sie war sauer auf die Kinder auf dem Rücksitz, die pausenlos wegen des langweiligen Films maulten. Sie hatten einen tragbaren DVD-Player mitgenommen, der ihnen aus der Hand rutschte, wann immer Dexter zu scharf in eine Kurve fuhr oder bremsen musste, und jedes Mal quiekten sie vor Schreck.
    Und sie war sauer auf sich selbst. Das war das Allerschlimmste. Sie konnte an nichts anderes denken als an all die Fehler, die ihr unterlaufen waren: ihr Schuhabdruck im Schlamm, ihre Fußabdrücke im Staub auf dem Boden des leeren Apartments neben Bills Büro, ihre feuchten Fußabdrücke auf Bills blitzsauberem Boden, ihre Haare und Hautschüppchen in seinem Bett, vielleicht sogar auf seinem Kissen, wo sie förmlich danach schrien, abgezupft, untersucht und genetisch aufgeschlüsselt zu werden. Wie konnte jemand so viele schwachsinnige Fehler begehen?
    Und dann auch noch die leuchtend rote Schürfwunde auf ihrer Wange. Es war kein Problem gewesen, Dexter die Verletzung zu erklären – beim Ausladen der Lebensmittel aus dem Wagen hatte sie sich gestoßen –, trotzdem hatte sie sich verdächtig gemacht. Von ihrer Dummheit und ihrem Leichtsinn ganz zu schweigen.
    Sie hatte sich wie eine verdammte Amateurin angestellt.
    Und dann all die Zeugen – das Pärchen im Treppenhaus und die alte Mme Dupuis. Zeugen, die jeder Idiot sofort finden würde.
    Kate betrachtete die öde Landschaft, die vor dem Wagenfenster vorbeizog – das Saarland mit den gedrungenen Fabrikgebäuden und hochmodernen Büroparks aus Glas und Stahl, umgeben von dichten Wäldern, Riesensupermärkte und Autohäuser direkt neben der Autobahn, Schornsteine und Lagerhallen und Autobahnzubringer, die in verstopfte Kreuzungen mündeten.
    Noch nie in ihrer Karriere hatte sie bei einer Mission derart versagt. Andererseits hatte sie doch gar keine Karriere mehr, oder? Sie hatte vor drei Monaten das Handtuch geworfen.
----
    Rothenburg ob der Tauber – eisige Kälte, Fachwerkhäuser an jeder Ecke, bunt gestrichene Fassaden, Spitzenvorhänge, Bierkneipen, Würstchenbuden, ein großer Weihnachtsmarkt, mittelalterliche Festungsanlagen, Steinmauern mit Rundbögen und Türmen. Noch eine Postkartenidylle, ein Städtchen wie aus dem Märchen. Noch ein Stadtturm, den es zu erklimmen galt, Unterhaltungsprogramm für kleine Jungs – wer als Erster oben ist. Die Stufen – wie viele Stufen sind es bis nach oben? Zweitausend? Dreitausend? – wurden immer steiler und bröckeliger. Oben mussten sie einem einäugigen Mann ein paar Münzen in die Hand drücken. Die Jungs konnten kaum den Blick von ihm wenden.
    Dann durften sie hinaus auf die schmale Aussichtsplattform treten, hoch über dem Hauptplatz und dem Gewirr aus Gassen und Straßen, hinter denen sich die Hügel und Wälder Bayerns erstreckten. Dexter zog die Ohrenklappen seiner rot-schwarz karierten Jägermütze mit Hasenfellbesatz

Weitere Kostenlose Bücher