Die Frau, die niemand kannte: Thriller (German Edition)
Zähne.
Kate stand wie angewurzelt da und lauschte. Sie konnte es sogar riechen.
Die Frau stöhnte.
Kate schaffte es nicht kehrtzumachen.
Der Raum war nicht mal hell genug, um mit Gewissheit sagen zu können, dass es Jane war. Aber wer sollte es sonst sein? Und der Mann war Bill. Natürlich.
Endlich riss Kate sich von dem Anblick los und verließ leise den Raum, ganz langsam, vorsichtig … Gleich … Nur noch ein Schritt –
»Scheiße!«, stieß Bill hervor.
Kate verschwand um die Ecke, gerade noch rechtzeitig, um Janes heiseres Flüstern zu hören. »Was?« Und dann noch einmal. »Was?«
Kate hastete den Korridor entlang und die hell erleuchtete Treppe hinunter. Der Wachmann musterte sie, schien etwas sagen zu wollen, doch offenbar fiel ihm nichts ein. Sie rauschte an ihm vorbei und geradewegs auf die Gästetoilette zu. Sie drückte die Türklinke hinunter, doch nichts geschah. Abgeschlossen.
Am anderen Ende der Halle befand sich eine Schwingtür, die offenbar in die Küche führte. Gerade als sie darauf zugehen wollte, schwang die Tür ein Stück auf. Sie blieb wie angewurzelt stehen.
Das Lachen eines Mannes drang heraus, gefolgt vom Kichern einer Frau, beide Stimmen waren ihr vertraut, sehr vertraut. Und dann öffnete sich die Tür vollends. Heraus trat erst der Mann, dann die Frau.
Dexter. Mit Julia.
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»Kate«, rief Julia mit der aufgesetzten Fröhlichkeit von jemandem, der den Anschein erwecken will, als könne das, was er da gerade tat, unmöglich falsch sein.
Dexters Wangen waren leicht gerötet.
Kate verspürte das Bedürfnis, ihre Anwesenheit zu erklären, doch in Wahrheit waren es die beiden, die ihr eine Erklärung schuldeten.
»Hi«, sagte Dexter lahm.
Kate sah von einem zum anderen, von ihrem Mann zu ihrer vermeintlichen Freundin, dann wieder zu ihrem Mann. Es kam nicht gerade aus heiterem Himmel, trotzdem hatte sie es nicht erwartet. Zumindest nicht von Dexter.
Einen Augenblick lang standen sie reglos da, alle drei, jede Sekunde eine schiere Ewigkeit.
»Was habt ihr denn vor?«, fragte Kate schließlich.
Julia und Dexter tauschten einen Blick, dann begann Julia erneut zu kichern. Mit einem Mal wirkten sie wie Bruder und Schwester oder wie zwei uralte Freunde. Und nicht wie Ehebrecher.
»Komm«, sagte Dexter und nahm Kates Hand.
Die Küche war riesig und hochprofessionell ausgestattet mit einer großen Kochinsel in der Mitte, diversen Arbeitsflächen, offenen Schränken, an Haken hängenden Töpfen und Pfannen.
Julia trat vor eine Schublade, zog sie auf und nahm etwas heraus. »Hier«, sagte sie.
Verwirrt blickte Kate auf den Gegenstand, dann sah sie Julia ins Gesicht.
Dexter durchquerte die Küche und öffnete die Tür eines riesigen Kühlschranks mit integriertem Tiefkühler. Auch er nahm etwas heraus, schloss die Tür und drehte sich zu Kate um.
Sie blickte auf Dexters Hand, dann auf Julias. Ein Behälter Eiscreme und ein Löffel.
Kate wurde das Gefühl nicht los, dass sie die beiden bei etwas Verbotenem erwischt hatte. Nicht beim Eisessen, auch nicht bei dem, was sie zuerst gedacht hatte. Sondern bei etwas völlig anderem.
Heute 12.41 Uhr
Gedankenverloren geht Kate durch die Straßen von Saint-Germain-des-Prés und fragt sich, was genau der handfeste Beweis in dem Jahrbuch zu bedeuten hat. Der Beweis dafür, dass sich Dexter und die Frau, die sich Julia nennt, nicht erst vor zwei Jahren in Luxemburg, sondern schon vor zwei Jahrzehnten auf dem College kennengelernt haben.
Inzwischen hat sich der morgendliche Regen verzogen. Über den Himmel ziehen graue Wolken, durch die immer wieder gleißend hell die Sonne bricht.
Sie kommt am Flore vorbei, wo sie sich letztes Jahr zwischen dem Einschulungsgespräch für die Jungs und dem Termin für die Unterzeichnung des Mietvertrags ihres Apartments eine kleine Pause gegönnt hatten. Das weltberühmte Café mit seinem weiß-grünen Porzellan. Paris wie aus dem Bilderbuch. Das Paris von Picasso. Kates Zuhause.
Nie hätte sie gedacht, dass sie eines Tages so ein Leben führen würde.
Das vergangene Jahr ist deutlich besser gelaufen als das vorherige in Luxemburg. Und sie ist sicher, dass das kommende Jahr noch viel besser werden wird. Sie mag die neuen Freunde, die sie und Dexter hier gefunden haben. Und bestimmt werden noch weitere dazukommen. Inzwischen hat sie festgestellt, dass sie gern neue Leute kennenlernt.
Sie biegt in die Rue Apollinaire ein, gegenüber dem Le Bonaparte mit seiner fröhlich gestreiften
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