Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Frau, die niemand kannte: Thriller (German Edition)

Die Frau, die niemand kannte: Thriller (German Edition)

Titel: Die Frau, die niemand kannte: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chris Pavone
Vom Netzwerk:
Morgen gewesen.
    Kate bog in die Rue Verdaine ein und ging den Hügel hinauf, vorbei an den mittelalterlichen Gemäuern, den Rundbögen und Befestigungsanlagen.
    Natürlich war es möglich, dass Dexter und Julia eine Affäre hatten. Sie konnten sich an den Vormittagen unter der Woche in Julias Apartment treffen, wenn Bill in seinem Pseudobüro war und Gewichte stemmte oder nach allen Regeln der Kunst Jane vögelte und Kate mit irgendwelchen Müttern beim Kaffeetrinken saß, während ihr Mann mit ihrer besten Freundin im Bett lag.
    Vielleicht hatten sie sich aber auch nur beschwipst in die Küche geschlichen und ein paar Minuten geknutscht?
    Oder es war nichts als ein harmloser Flirt, eine Ablenkung, eine Art Vergewisserung, dass man noch am Leben war, nicht alt, nicht tot.
    Die Antiquitätengeschäfte in der Rue de l’Hôtel de Ville hatten fast ausnahmslos geschlossen. Schilder mit säuberlicher Handschrift verkündeten, dass Ferien waren: Fermé. Bis Anfang Januar. In den Staaten war es unvorstellbar, dass ein Laden zwei Tage vor Weihnachten geschlossen hatte.
    Und wenn sie tatsächlich eine Affäre hatten? Wie würde sie reagieren? Könnte sie es verstehen, es ignorieren, es verzeihen? Liebte Dexter sie überhaupt noch? Langweilte er sich in ihrer Ehe? War es Neugier, Geilheit, Egoismus oder die Angst vor der eigenen Sterblichkeit? Eine Midlife-Crisis? Hatte er so etwas auch schon vorher getan? War er in Wirklichkeit ein unverbesserlicher Weiberheld? Hatte er sie all die Jahre betrogen? Kam nun ans Licht, dass er ein elender Mistkerl war und sie es nur nicht gemerkt hatte? Fast zehn Jahre lang?
    Oder war er ihr lediglich untreu geworden, weil sich die Gelegenheit dazu geboten hatte? War er verführt worden, gefügig gemacht mit Alkohol und Neckereien, war es ein Angebot gewesen, das er nicht ablehnen konnte?
    Oben auf dem Hügel öffnete sich die Straße auf die Place du Bourg-de-Four mit dem Brunnen in der Mitte und mehreren Cafés. Kate sah auf die Uhr – 14:58 Uhr –, setzte sich auf einen Rattanstuhl neben einem Heizpilz und bestellte bei einem attraktiven, selbstverliebten Kellner einen café au lait.
    Oder ging es um etwas Ernsteres als Sex?
    Am anderen Ende des Cafés saßen Mutter und Tochter mit Pelzmützen im Partnerlook und rauchten die gleichen zahnstocherdünnen Zigaretten. Die Mutter streichelte einen Miniaturhund auf ihrem Schoß, die Tochter sagte etwas, was Kate nicht verstehen konnte.
    Ihr Kaffee wurde mit dem obligatorischen in Zellophan verpackten Keks serviert.
    Der Kellner ging auf das Mutter-Tochter-Gespann zu. Sie lachten über irgendeine Bemerkung von ihm, während er sich flirtend über die Stuhllehne beugte. Kate hörte Schritte hinter sich. Die Sohlen harter Herrenschuhe auf den unebenen Pflastersteinen. Sie drehte sich nicht um. Der Mann setzte sich an den Nebentisch, der lediglich durch den Heizpilz von Kates getrennt war.
    Als der Kellner zu ihm kam, bestellte der Mann eine heiße Schokolade, dann zog er eine Le Monde heraus und faltete sie, um sie besser lesen zu können. Er trug einen grauen Mantel, einen roten Schal, enge Jeans und spitze schwarze Schuhe mit grünen Schnürsenkeln. Die Haut an seinem Kinn war rosig und glatt, offensichtlich sehr sorgfältig rasiert und haarloser, als Dexter es jemals sein würde. Er sah genauso aus wie die Jungs am Dupont Circle in Washington, deren Gesichter auf den ersten Blick ihre sexuelle Orientierung verrieten.
    Kate stellte ihre Handtasche auf den Tisch und nahm einen Schweiz-Reiseführer, einen Stadtplan von Genf, einen kleinen Block und einen Stift heraus.
    Der Kellner servierte die heiße Schokolade.
    Sie nahm die Kamera aus der Tasche, hielt sie hoch und beugte sich zu dem Mann hinüber.
    »Excusez-moi«, sagte sie. »Parlez-vous anglais?«
    »Ja, ich spreche Englisch.«
    »Könnten Sie vielleicht ein Foto von mir machen?«
    »Aber natürlich.« Er rutschte mit seinem Stuhl herüber und nahm ihr die Kamera aus der Hand.
    Kate sah sich nach einem passenden Hintergrund um – der Brunnen, ein schönes Haus, eine schneebedeckte Rasenfläche. Sie schob den Reiseführer aus dem Bild. Zwischen den Seiten steckte ein Foto.
    »Machen Sie in Genf halt, auf dem Weg in den Skiurlaub?«, erkundigte er sich.
    »Genau. Wir fahren morgen weiter. Nach Avoriaz. Für eine Woche.«
    Der Mann bedeutete ihr, ein Stück nach rechts zu rücken, und drückte ein zweites Mal auf den Auslöser. Dann legte er die Kamera auf Kates Reiseführer. Als er

Weitere Kostenlose Bücher