Die Frau, die niemand kannte: Thriller (German Edition)
Claire. Es war drei Uhr nachmittags, und sie standen vor dem Schulgebäude.
»Wie bitte?« Kate war völlig in Gedanken versunken gewesen. Ihre Suche hatte nach wie vor nichts ans Licht gebracht – keine Hinweise auf Marlena und Niko, keinerlei Informationen über einen Diebstahl von fünfzig Millionen Euro. Heute Abend würden sie nach Amsterdam fahren, und Kate hatte noch nicht gepackt. Dexter wollte um halb fünf zu Hause sein, damit sie möglichst früh auf die Autobahn kämen. Ihr lief die Zeit davon.
»Sebastian ist im Haushalt zu nichts zu gebrauchen, sagte ich gerade. Ist Dexter dir eine Hilfe?«
»Nein«, gestand Kate, »definitiv nicht. Alles, was mit dem Haushalt zu tun hat, erledige ich.«
»Sebastian versucht es zwar«, fuhr Claire fort, »aber nur, wenn ich ihn anbettle.«
»Mit Paolo ist es genau dasselbe«, warf Sophia ein.
»Mit Henrik auch«, sagte Cristina, beugte sich vor und senkte die Stimme. »Ich muss ihm einen blasen, wenn ich will, dass er eine Glühbirne reinschraubt.«
Kate wusste, dass das ein Scherz war. Andererseits war es vielleicht gar keine so üble Idee, denn Dexter würde auch niemals –
Aber das stimmte nicht. Er hatte sehr wohl mal etwas im Haushalt repariert. Ein einziges Mal.
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Sie schleuderte Socken und Unterwäsche aufs Bett und legte Pullover-, Sweatshirt- und Hosenstapel daneben.
Sie setzte den Akkuschrauber an, lockerte einige Schrauben, löste hier eine Verkleidung ab, zog dort eine Spanplatte herunter, noch eine Seitenwand, dann eine Plastikabdeckung. Systematisch nahm sie die Kommode der Jungs auseinander, die Dexter vor ein oder zwei Monaten einer Reparatur unterzogen hatte, die in Wahrheit gar nicht notwendig gewesen war. Doch das war ihr damals nicht bewusst gewesen.
Sie stellte die nun auf ein Gestell reduzierte Kommode auf den Kopf, beugte sich über die Unterseite und begann, auch hier die Schrauben zu lösen, sodass das Rechteck aus Holzstreben in seine Einzelteile zerfiel.
Nichts. Fassungslos starrte sie die Teile an. Sie war sich absolut sicher, dass es hier irgendwo sein musste.
Sie inspizierte die Ober- und Unterseiten der Holzstreben und untersuchte die Vertiefungen für die Bolzen, die das Gestell zusammenhielten.
Sie seufzte.
Am unteren Ende des Tischbeins befand sich ein Schlitz, den sie bisher nicht bemerkt hatte. Sie versuchte, ihren Zeigefinger hineinzustecken, doch es gelang ihr nicht. Auch ihr kleiner Finger war zu dick. Sie packte den Schraubenzieher, schob ihn hinein … neigte ihn leicht zur Seite … drückte und zog gleichzeitig …
Etwas fiel auf den Teppich. Es war ein winziges, zu einem Rechteck gefaltetes Stück Papier.
Es lag direkt vor ihren Füßen.
Sie hob es auf, faltete es auf die Größe eines Kaugummipapiers auseinander und starrte auf die handgeschriebene Zahlen- und Buchstabenkolonne, die auf den ersten Blick keinerlei Sinn zu ergeben schien.
23
Auf ihrer Armbanduhr, Dexters teurem Weihnachtsgeschenk, war es 15:51 Uhr. Kate ließ den Blick über das Chaos auf dem Boden des Zimmers schweifen, die verstreute Kleidung, die zerlegte Kommode und die halbleere Werkzeugkiste.
In vierzig Minuten – neununddreißig – würde Dexter nach Hause kommen.
Kate nahm den Papierfetzen, legte ihn auf den Boden, zog ihr Handy heraus und machte ein Foto. Sie warf einen Blick auf die Aufnahme, um sicher zu sein, dass alles gut lesbar war, dann schob sie den Zettel wieder in den Schlitz.
Sie machte sich daran, die Einzelteile der Kommode aus dem Gedächtnis wieder zusammenzusetzen, verschraubte Seitenabdeckungen, hämmerte Bolzen hinein und zog Schrauben fest.
16:02 Uhr. Jake erschien im Türrahmen.
»Was machst du da, Mami?«
»Nichts, Schatz.«
»Bob l’Eponge ist zu Ende.«
»Läuft etwas anderes?«
»Ja, aber das mag ich nicht.«
»Da kann ich leider auch nichts machen, Schatz.«
»Aber du kannst doch umschalten.«
»Herrgott noch mal, Jake!«, schrie sie ohne jede Vorwarnung, und er fuhr vor Schreck zusammen. »Stör mich nicht. Ich muss das hier zu Ende machen!«
Jake brach in Tränen aus und verzog sich schmollend. Sie hatte ein schlechtes Gewissen, doch die Panik überwog.
Um 16:13 Uhr stand die Kommode wieder an Ort und Stelle.
Kate stieß einen Seufzer aus. Wie lange würde sie für die Schubladen brauchen? Sie machte sich an die erste. Es stellte sich als komplizierter heraus, als sie vermutet hatte. Vier Minuten. Es waren sechs Schubladen.
Sie beeilte sich. Die zweite ging ihr ein wenig
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