Die Frau, die vom Himmel fiel: Roman (German Edition)
Wettkampf. Die Briten sind ganz verrückt auf Wettkämpfe. Offenbar gibt’s eine Ligatabelle, wie beim Fußball. Ich glaube, so sehen die auch den Krieg – wie einen Wettkampf, und wer gewinnt, kriegt die ›Asche‹. Wissen Sie, was ich meine?«
»Natürlich, Sie meinen die Ashes , das nationale Cricketturnier.«
»Wer würde schon um ›Asche‹ kämpfen? Nur die Briten.«
Er war in der Swordland Lodge am anderen Seeufer untergebracht. Swordland, das klang magisch und fantastisch, wie aus den Geschichten um die Ritter der Tafelrunde. »Schon seltsam, dass wir uns hier wiedertreffen«, sagte sie. Aber war es wirklich seltsam? In diesen Zeiten schien so vieles seltsam, dass sie gar nicht mehr wusste, was der Begriff früher mal gemeint hatte. Noch vor wenigen Wochen war sie eine gelangweilte WAAF -Mitarbeiterin gewesen, die im Filterraum in der Bentley Priory Schichten schob, umwabert von Zigarettenqualm und dem Geruch nach Achselschweiß. Und jetzt war sie hier in dieser entlegenen Landschaft, mit der vagen Verheißung, bald nach Frankreich zu kommen, und mit einer ganzen Sammlung neuer Fertigkeiten, von denen sie nie gedacht hätte, sie jemals zu beherrschen. Sie wusste, wie man einen Mann mit einem Schlag gegen den Hals tötete und wie man mit ein paar Pfund Sprengstoff einen Zug zum Entgleisen brachte. Sie konnte morsen und mit einer Thomson-Maschinenpistole schießen. Sie konnte sich nachts still und leise bewegen, lautlos einen Stacheldrahtzaun durchschneiden und einen Fluss durchqueren, indem sie sich an einem Seil entlangzog. Gemessen daran war eigentlich gar nichts mehr seltsam.
»Vielleicht können wir uns treffen, wenn wir Urlaub haben?«, schlug er vor.
»Vielleicht.«
»Wo sind Sie zu Hause?«
»Oxford.«
Er blickte enttäuscht. Es war seine Enttäuschung, die ihr Mut machte. »Und Sie wohnen in London?«
»Natürlich. Die haben mich in einem Hotel einquartiert.«
Sie wollte ihm gerade weitere Fragen stellen – woher er stammte, wo seine Familie war, wie er nach Großbritannien gekommen war und dergleichen mehr –, als der Captain sich zu der Gruppe umdrehte. »Was soll das viele Gerede? Denkt denn hier keiner mehr an die Sicherheitsvorschriften? Bérard, Sie kommen hier zu mir nach vorne.«
Sie lachte. »Nun gehorchen Sie schon.«
Benoît verzog das Gesicht und eilte zu seinem Captain. »Oxford trente-deux, quatre-vingt-neuf «, rief sie ihm hinterher. Er blickte sich um und lächelte. Er hatte ein einnehmendes Lächeln, das Lächeln eines kleinen Jungen, der Soldat spielte.
Zurück in der Lodge, wurden Marian und Yvette wie zwei ungezogene Kinder in den Aufenthaltsraum zitiert. Während der Captain und Lieutenant Redmond auf dem Rasen vor dem Haus beratschlagten, stand Marian am Fenster, aber mit genügend Abstand, sodass sie sehen konnte, ohne gesehen zu werden. Es wurde viel gestikuliert und finster dreingeblickt.
»Die behandeln uns wie Kleinkinder«, sagte Marian. »Ich verschwinde. Die können mich nicht aufhalten. Ich fahr einfach nach Hause, dann können sie sich ihre Pläne Gott weiß wohin stecken.«
Yvette schniefte. »Die werfen mich raus.«
»Blödsinn. Ich bin diejenige, die sie auf dem Kieker haben.«
»Die halten mich für unfähig.«
»Hör endlich auf, das zu sagen. Das sind Idioten. Die nehmen sich viel zu ernst. Und sie machen genauso viele Fehler wie jeder andere auch. Ich meine, sie sind nicht besonders schlau oder so, sie halten sich bloß dafür.«
»Aber sie haben nun mal das Sagen.«
Die beiden Offiziere verschwanden aus Marians Blickfeld. Jetzt saßen nur noch die Auszubildenden von Swordland vor dem Haus auf dem Boden, sechs anonyme Männer in Kakimontur, umringt von Rucksäcken und hässlich aussehenden Waffen, und dieser junge Bursche namens Benoît, der amüsiert und unabhängig gewirkt hatte und sie anscheinend auf eine seltsam vertraute Art akzeptierte, als ob sie einander schon sehr viel besser kannten als nur durch jene Zufallsbegegnung in einer Bar.
»Ich will nach Frankreich«, sagte Yvette. »Mehr will ich nicht.«
»Du kommst nach Frankreich. Ich bin sicher, du kommst nach Frankreich.«
Die Swordlander sammelten jetzt ihre Ausrüstung ein. Sie hatten bestimmt Befehl erhalten, sich fertig zum Abmarsch zu machen. Marian sah, wie Benoît seinen Rucksack aufhob und ihn sich über die Schulter hängte. Vielleicht sollte sie einfach ganz unbekümmert nach draußen spazieren und sich von ihnen verabschieden und allen zeigen, dass sie den ganzen
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