Die Frau, die zu viel fühlte - Roman
schaute mich scharf an, und die Stimmung zwischen uns war so gut, dass es ihr leichtfiel zu sagen: »Liebschaften, Johnny. Da muss es doch ein paar gegeben haben. Ein so durch und durch vorzeigbarer Kerl wie du. Tut mir leid, das ist ein bisschen persönlich.«
Es machte mir nichts aus, es machte mir nur etwas aus, dass es so wenig zu erzählen gab. Ich hatte mich in eine verheiratete Frau verliebt, die junge Gattin eines langweiligen, konservativen Abgeordneten, die in meinen Augen viel zu gut für ihn war. Sie war ein wunderbares, wenn auch ein wenig schlichtes Mädchen aus der Provinz, die vom Dorf Westminster absolut überwältigt war, und ich gab mir große Mühe, sie mit meinem Wissen über so ziemlich alles, was unter der Sonne mit Politik zu tun hatte, zu beeindrucken. Ihr Ehemann hingegen wollte mich beeindrucken, damit ich Wohlwollendes über ihn sagte. Er war ehrgeizig und wollte sie für seine Zwecke einspannen – als Teil davon sollte sie nett zu mir sein. Hin und wieder berührte sie mich am Ärmel, und ich kam zu der irrigen Annahme, dass sie dasselbe für mich empfand wie ich für sie, so wie sie zu mir hochschaute, zu diesem großen Intellektuellen, der ich war.
Sie las sogar mein erstes Buch, das kurz zuvor veröffentlicht worden war. Ich hatte über das schwindende Interesse der politischen Klasse an der Ideengeschichte geschrieben, und vielleicht stellte sie sich vor, ich würde etwas über sie als eine der Ehefrauen schreiben, die das intellektuelle Niveau in Westminster hoben. Das ist unfair. Sie verdrehte mir den Kopf, aber dann verlor ihr Mann seinen Sitz. Wir trafen uns zwar nicht so oft, aber er musste gewusst haben, was ich für sie empfand, auch wenn ich mir große Mühe gab, es für mich zu behalten. Ich ließ zwar durchblicken, dass, falls es je etc., lud sie sogar zu einem Drink ein. Aber sie liebte ihren Ehemann zu sehr. Später las ich von einer unschönen Scheidung nach seinem Wiedereinzug ins Parlament und seiner Affäre mit einem Covergirl, über die sich der Boulevard sehr lustig machte. Zu der Zeit sah ich sie wieder, aber sie grüßte mich kaum. Ich war einfach auch nur irgendein verdammter Journalist.
Es gab eine Frau, die scharf auf mich war und die ich ziemlich regelmäßig traf. Eine Weile sogar sehr scharf. Doch die schlichte Wahrheit war, dass ich sie einfach nicht oft genug sah. Meine Arbeit, zu der inzwischen auch Fernsehauftritte gehörten, nahm mich fast vollständig in Beschlag, und für sie blieb kaum noch Zeit übrig. Genau das warf sie mir vor, und ich konnte nur zustimmen. Tatsächlich liebte ich sie einfach nicht genug. Ich konnte sie nur »irgendwie dazwischenschieben«. Bis zum Ende verlief alles ziemlich freundschaftlich, doch dann gab es einen Streit, weil ich sie mal wieder enttäuscht hatte (wofür ich allerdings nichts konnte), und sie sagte: »Dein Problem ist, dass du so verdammt humorlos bist.« Ich hörte meinen Vater sagen: »Und nicht einen Funken Humor im Leib.« Sie hatte recht: Erbarmungslose Ernsthaftigkeit ist eine weitere Folge der Entschlossenheit.
Kurz darauf verliebte sie sich in einen anderen, und jetzt lebt sie mit ihrem Farmerehemann und sechs Kindern auf dem Land. Ich habe sie getroffen, und sie ist glücklich oder scheint es zumindest zu sein. Wie hätte ich mit so etwas mithalten können? Es gab auch noch andere Schäkereien, in die eine oder die andere Richtung unerwidert.
Das alles konnte ich Hester kaum erzählen, und so zuckte ich nur die Achseln und sagte: »Ja, das Liebespalaver. Einige attraktive Frauen, die in dein Leben treten und es wieder verlassen. Wer hat gleich wieder geschrieben: ›Frauen sind viel netter als Männer. Kein Wunder, dass wir sie mögen‹? Wahrscheinlich war ich einfach nicht dafür geschaffen, hatte es nicht in mir.«
»Also auch für dich keine kuschelige-wuschelige Familiwilie?« Und so hallte das Echo dieses letzten Ausflugs am Meer zu uns herüber, die Wut und der Kummer hinter der Fröhlichkeit. Wir dachten beide an Julie, und Hester sagte: »Wir werden nie erfahren, ob dasselbe auch auf Julie zutrifft. Drei unverheiratete Kinder.«
Der Abend neigte sich dem Ende zu. Es hatte geregnet, doch jetzt schien der Mond durch die offenen Vorhänge. Das Gasfeuer flackerte über Hesters Gesicht und ließ es aussehen wie eine groteske Farce des Leids. Wir hatten kurz über unser jeweiliges Leben gesprochen, verlorene Zeit nachgeholt, hatten uns einander geöffnet, zwar nicht erschöpfend, aber
Weitere Kostenlose Bücher