Die Frau, die zu viel fühlte - Roman

seufzte sie – dieses so typische weltmüde Seufzen – und sagte, wie schon öfter: »Flüchtlinge vor dem Vergessen. Das Wenige, was wir haben, solange es dauert.«
    Es hatte keine Erscheinungen gegeben. Die Julie, die wir gesehen hatten, war in der Vorstellung unserer Herzen, wie sie uns eines Tages hätte wiedergegeben werden können. Eines Tages, das träumen wir – Hester, Sheila und ich –, werden wir auf sie zugehen, und sie wird weit die Arme ausbreiten, um uns zu begrüßen und zu fragen, wo um alles in der Welt wir denn die ganzen Jahre gewesen sind, und jetzt wollen wir eine Party feiern.
    Und jetzt, am späten Nachmittag, kommt mir der Gedanke, dass bei all derLiebe, die ich zu zeigen versucht habe, eine gewisse Lieblosigkeit in mir ist. Das geht weit hinaus über den berufsmäßigen Zynismus und ist vielleicht das Eingeständnis, dass Liebe, zumindest in der Alltäglichkeit, wenig bewirkt. Ich frage mich, ob Hester möglicherweise ähnlich denkt, wenn auch nicht unbedingt über sich selbst. Nein, sicher bin ich mir bei der ganzen Geschichte nicht. Man sollte aufpassen mit diesem Wort »Liebe«. Den Nachweis dafür findet man vielleicht in der hart erarbeiteten Herzlosigkeit meines Schreibens.

Der Titel des Originals lautet Our Sister Julie .
    1. Auflage
    Copyright © des Originals 2011 Charles Chadwick
    Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2013
Luchterhand Literaturverlag, München,
in der Verlagsgruppe Random House GmbH
    Satz: Uhl + Massopust, Aalen
    ISBN: 978-3-641-10904-2

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