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Die Frau, die zu viel fühlte - Roman

Die Frau, die zu viel fühlte - Roman

Titel: Die Frau, die zu viel fühlte - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Chadwick
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Hesters Wohnzimmer, in dem sich nichts wirklich Persönliches befand. Es gab nichts zu erinnern. Mein Wohnzimmer war auch nicht viel anders, gesteckt voll mit Büchern und Papieren und so gut wie keinem Erinnerungsstück. Henry kam zurück und sah, dass wir uns sein Leben anschauten. Ich deutete auf den Tiger.
    »Ich fragte sie, wozu sie denn gerade so einen verdammten Tiger will. Hat mir nie eine richtige Antwort drauf gegeben. Ist doch nur ein Souvenir, meinte sie. Er stand ganz einfach im Regal in diesem Laden an diesem schönen Tag, den wir miteinander verbrachten. Also stellte ich ihn neben das Blumenmädchen. Noch so ein schöner Tag. Das war in Scarborough. Wie Sie sehen, hatten wir eine ganze Menge schöner Tage.«
    Er setzte sich wieder in seinen Lehnsessel. Hester steckte ihm die Decke um die Beine fest und wischte ihm noch einmal den Sabber aus den Mundwinkeln.
    »Wenn du je in dieses Heim kommst, wirst du deine Erinnerungen mitnehmen können.«
    Er kicherte und tippte sich an den Kopf. »Kann diese Kiste mit altem Gerümpel ja schlecht zurücklassen, oder?«
    Sie fragte ihn, ob sie noch etwas für ihn tun könne, bevor der Abendpfleger käme, und er schüttelte den Kopf.
    Als wir gingen, sagte er: »Ich mag unsere kleinen Plausche, aber heute haben wir Gesellschaft. Ich weiß nicht, wer Sie sind oder was Sie wollen. Sie sollen nur eins wissen, guter Herr, ich hatte verdammt viel Glück, wirklich ein verdammt großes Glück, falls es Sie interessiert …«
    Ich hob zum Abschied die Hand, und wir gingen.
    Auf der Rückfahrt fragte ich Hester, ob sie ihn oft besuche. Sie zögerte mit der Antwort, tat so, als müsse sie sich aufs Fahren konzentrieren. Ich musste die Frage wiederholen.
    »Dreimal pro Woche. Vielleicht eine Runde Fuchs und Gänse …«
    »Ich nehme an, es gibt auch noch andere?«
    »Ein paar. Hin und wieder Besorgungen, eine kleine Plauderei. Ein bisschen Arbeit in Haus und Garten. Aufräumen. Alt und einsam. Das Plaudern ist ihnen das Wichtigste.«
    Danach schwiegen wir, bis wir ihr Cottage erreicht hatten. Ich spürte deutlich, dass sie über diesen Aspekt ihres Lebens nicht mehr sagen wollte. Mir genügte, was ich gesehen hatte. Ich wollte ihr sagen, wie sehr ich sie dafür bewunderte und dass ich einfach keine Ahnung gehabt hatte, dass sie sich auf diese Art engagierte. Als ich sie vor dem Gemeindezentrum verlassen hatte, hatte ich Steaks und Gemüse fürs Abendessen eingekauft, und jetzt brachte sie die Einkaufstüte in die Küche und kam bald darauf mit einer Tasse Tee zurück.
    »Ich hoffe, du hast nichts dagegen, dass es nur ein Teebeutel ist. Ich lasse dich jetzt eine Weile in Ruhe. Schau dir ein paar Bücher an. Es funktioniert in beide Richtungen, Johnny.«
    Ihre Einsamkeit und die der alten Leute? Hatte sie das gemeint? Ich konnte sie nicht fragen und werde es deshalb nie wissen. Zumindest was sie selbst anging, verboten sich Motive und Erklärungen. Es war bereits angelegt in dem Kind, an das ich mich jetzt deutlicher erinnerte, das Zurückhalten und Zumachen, wenn ein Ausflug ans Meer wieder einmal nicht so lief, wie er sollte.
    An diesem Abend brach ich bald nach dem Essen auf. Wir sprachen nicht mehr über ihre Arbeit im Gemeindezentrum und ihre Besuche bei den alten Leuten. Sie hatte flüchtig zwei Pflegeheime in der Gegend erwähnt, in die Henry vielleicht kommen könnte, und wahrscheinlich hatte sie diese auch besucht. Mit Sicherheit gab es noch sehr viel mehr, was sie mir erzählen könnte, aber sie würde es nie tun. Und sie musste es auch nicht. Inzwischen gingen wir entspannt miteinander um, und wenn ich von meinem Leben und meiner Arbeit erzählte, hatte ich keine Angst mehr davor, wie ein Aufschneider zu wirken. Es war, wie bereits gesagt, einfach mein Job. Auch musste ich nicht groß mein Bedauern darüber ausdrücken, auf wessen Kosten mein Arbeitseifer und mein Erfolg gegangen waren: auf Kosten meiner zwei Schwestern, die mir schon seit sehr langer Zeit so gut wie nichts mehr bedeuteten.
    Der nächste Nachmittag war wieder schön und warm, und wir spazierten auf einem öffentlichen Fußweg auf den nächsten Hügel. Es waren mehr Wolken am Himmel, aber sie hingen noch sehr hoch, und der Wind blies sie schnell über die Sonne, so dass wir in einem andauernden Wechselspiel aus Licht und Schatten gingen.
    »Dunkelheit und Licht«, sagte ich auf eine ziemlich alberne Art, als wir wieder einmal in einen Streifen Sonnenlicht traten.
    Wir hatten wenig gesprochen. Es war ein

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