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Die Frau, für die ich den Computer erfand

Die Frau, für die ich den Computer erfand

Titel: Die Frau, für die ich den Computer erfand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Christian Delius
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ja immer wieder, dass wir euch unterschätzen, euch von der Presse. Ihr klopft leise und freundlich an, macht eure Komplimente, sagt immer ja und fragt ganz unschuldig hier eine kleine Frage und da eine kleine Frage, stellt euch dumm und wisst in Wirklichkeit viel mehr als ihr verratet. Ihr habt es faustdick hinter den Ohren, wie man so sagt. Man muss bei euch immer auf eine Falle gefasst sein. Oder auf Sticheleien, die mit der Sache nichts zu tun haben, weil ihr nämlich nichts versteht von der Sache   …

(Von der Gleitbombe zur Gemsenmalerei)
     
     
     
    Nein, ich will nicht aufhören, mitten in der Stunde Null. Vergessen Sie den berühmten Wernher, wir sind im Allgäu und überhaupt nicht berühmt. Stunde Null, auch so ein dummes Wort, es ist ja eher ein Jahr Null   … Wie ich mich und Frau und Kind durchgebracht habe, das ist heute alles Anekdotenkram. Holzschnitte, Gemsenmalerei im Akkord für amerikanische Soldaten, Pilzesammeln, Löwenzahn,Brennessel, Schnecken und andere Delikatessen. Darauf bilde ich mir wahrlich nichts ein, da hat sich jeder was einfallen lassen müssen, jeder, der kein Bauer war   … Sie müssten mich jetzt eigentlich fragen: Was macht der Ingenieur im Hochgebirge? Was gibt’s denn nun zu rechnen, wenn jeder froh sein muss, noch Zähne und einen Arm zu haben und jeden Tag ein Stück Brot zu kauen?   … Nein, an so was denkt man nun überhaupt nicht, Umwertung aller Werte! Das ist ein typisches Kulturthema, etwas für Podiumsdiskussionen. Nein, den Gefallen tu ich Ihnen nicht, obwohl das was hergäbe, die Werte der Gleitbombe und die Werte der Gemsenmalerei, und was ich dabei so dachte im Erfinderkopf. Nein, den Gefallen tu ich Ihnen nicht, es war alles viel banaler. Wenn ich nicht auf die Futterbeschaffung konzentriert war und nicht auf die Schaltalgebra, dann ist mir meine Mutter in den Sinn gekommen. Ein halbes Jahr hab ich nichts von meinen Eltern gehört und nichts von meiner Schwester, nichts. Was tut man da? Wie findet man mehrfach ausgebombte Leute in einer siebenhundert Kilometer entfernten Trümmerstadt? Man schreibt Briefe an alle Bekannten und hofft, dass einige von ihnen überlebt haben und der eine oder andere sich aufmacht und die Zettel mit den richtigen Namen findet an den Ruinen in Kreuzberg. Oder dass die Briefträger pfiffig sind   … Ja, das hatte ich. Ohne die Papiere in letzter Minute hätte ich wie alle anderen ausrückenmüssen und Berlin verteidigen, die Familie   … Da hat man Schuldgefühle, na klar, auch wenn ich sicher war, dass die Eltern mich lieber weit weg gewünscht haben und hoffentlich gerettet mitsamt der Frau und dem Gerät. Und da man vom Warten und Grübeln nur blöde wird, hab ich an meine Mutter gedacht, wie sie mir geholfen hat. Wie sie uns versorgt hat jahrelang und jeden Tag, mich und meine Freunde und Helfer, die Ingenieur-Studenten, die Ingenieur-Soldaten. Sie hat sich um alles gekümmert, sogar um das Bier, das gute Braunbier. Das wurde ja noch in Fünfliter-Fässchen mit Pferdewagen ausgefahren, das hat sie dann abgefüllt und abends jedem eine Flasche hingestellt. Ein Teller Suppe mittags. Was ist es uns gutgegangen, hab ich im Allgäu gedacht. Oder Erbsbrei, den von mir so geliebten Erbsbrei, mit gebratenen Zwiebeln verfeinert, das war der Luxus, abends Wurstbrote   … Die Arbeit war sehr eintönig für die Helfer, das hat meine Mutter gesehen, die Blechsägerei und die Relaisfummelei und die Drahtknüpferei, danach konnten durstige junge Männer einen guten Schluck brauchen. Bier ist Brot, das ist ja nicht nur ein Säuferspruch. Also, ich stehe für Auskünfte zur Verfügung, falls jemand eine Diplomarbeit schreiben will: Über den Anteil des Braunbiers bei der Entwicklung des ersten Computers der Welt   … Im Ernst, das waren die Erinnerungsrituale zur Beruhigung vor dem Einschlafen, um nichts Schlimmeres denken zu müssen.Um sich satt zu phantasieren. Und es hat geholfen!   … Ich hab immer wieder geträumt, dass meine Schwester keine Finger mehr hatte und die Patentschriften und Briefe nicht mehr tippen konnte   … Alles Unsinn, alle haben überlebt   … Im Hinterkopf denk ich gerade über was anderes nach: Ob ich durch Wernher von Braun auf das Braunbier gekommen bin. Sehen Sie, so ist das, wenn die Nacht dahinzieht und die Sterne flackern und der Riesling durch die Blutbahnen rieselt, wenn ich die Assoziationen laufen und treiben lasse, vom Herrn von Braun zum Braunbier, vom Braunbier zur Mutter   – Sie

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