Die Frau im Fahrstuhl
gelangt. Astrid schrie von zehn Uhr, als wir bei Papa eintrafen, bis gegen eins, als wir wieder nach Hause fuhren. Im Auto schlief sie dann ein. Das bedeutete, dass sie bald wieder zu Kräften kam, und den Rest des Heiligen Abends weiterschreien konnte. Es gab Augenblicke, da war ich sehr versucht, in das Geschrei einzustimmen.
Das Taxi von Schwiegermutter kam zuerst. Sie saß mit einer Tasse Glögg vor dem offenen Kamin, als Mama eintraf. Diese stellte ihren Rollator in die Diele und betrat dann auf meinen Arm gestützt das Wohnzimmer. Als sie meine Schwiegermutter erblickte, sagte sie nur säuerlich: »Ach, du bist auch da. Ich dachte, hier sei nur die Familie.«
Damit war der Ton für den Rest dieses Weihnachtsabends angeschlagen.
Vielleicht hatte ich die unsinnige Hoffnung, dass die beiden alten Frauen schläfrig würden, als ich einen Extraschuss Cognac in den Glögg goss. Sicherheitshalber kippte ich noch etwas nach. Ich wusste nicht, dass meine Frau genau dasselbe vor mir getan hatte.
Thomas und Anna versuchten verzweifelt, Astrid zu beruhigen, die nicht aufhören wollte zu schreien. Martin hatte sich zusammen mit Lara Croft in seinem Zimmer eingeschlossen.
Christina versuchte, mit ihren beiden Großmüttern Konversation zu betreiben, gab aber recht bald auf und konzentrierte sich auf den Glögg.
Mama und Schwiegermutter unterhielten sich angeregt. Bemerkungen wie die folgenden fielen: »Lass es lieber bleiben, das Brot in die Brühe zu tunken, und iss auch die anderen fetten Sachen nicht. Hast du dich endlich entschlossen, etwas Drastisches zu unternehmen und bei den Weight Watchers anzufangen?« Oder: »Du hast doch schon drei Mal vom Kartoffelgratin genommen. Hast du das etwa schon vergessen? Aber so fängt es schließlich an. Das Kurzzeitgedächtnis setzt aus.«
Noch schlimmer wurde es, als die beiden damit begannen, Anna gute Ratschläge zu geben, wie sie Astrid zur Ruhe bringen könnte. Die beiden Alten mauserten sich plötzlich zu Expertinnen, was Koliken bei Kleinkindern betraf. Der armen Anna wurden die guten Ratschläge förmlich um die Ohren geschlagen. Bald brach ihr der nackte Schweiß aus. Astrid schrie so sehr, dass es einem ins Herz schnitt. Schließlich bekamen die jungen Eltern genug, packten Astrid und die ungeöffneten Geschenke und suchten das Weite.
Ich stand am Fenster, als sie alles im Auto verstauten. Die Kleine schlummerte bereits friedlich in ihrem Kindersitz.
Als dann die Rücklichter der beiden Taxis in der Dunkelheit verschwanden, atmeten meine Frau und ich erleichtert auf. Wir ließen uns in die Sessel fallen und tranken den Rest Glögg. Wir waren uns einig, dass das das schlimmste Weihnachten seit Menschengedenken gewesen war. Christina hatte sich in ihrem alten Zimmer, dem jetzigen Gästezimmer, bereits hingelegt. Der starke Glögg, die Schnäpse und das Weihnachtsbier hatten ihr ziemlich zugesetzt. Nach der Anspannung des Tages gab es nichts Schöneres, als sich dem leichten Rausch hinzugeben. Wahrscheinlich vergaßen wir deswegen die Kerze im Wohnzimmerfenster. Seit vielen Jahren hatten wir dort einen großen Weihnachtsmann aus Gips stehen, der eine Kerze in Händen hält. Um die Kerze hatte meine Frau eine Manschette aus lackierten Holzkugeln gelegt, die Martin einmal im Hort gebastelt hatte.
Wir waren so müde, dass wir sofort einschliefen. Ich glaube, ich schlief bereits, als mein Kopf das Kopfkissen berührte.
Ich erwachte davon, dass mir jemand hart auf die Brust schlug. Ich meine mich zu erinnern, drei Schläge gespürt zu haben. Als ich mich im Bett aufsetzte, um zu sehen, was los war, sah ich zu meiner Überraschung eine dunkle Gestalt am Fußende des Bettes stehen. Als ich etwas benommen fragte, wer mich geweckt habe, streckte die schemenhafte schwarze Gestalt nur den Arm aus und deutete auf die offene Schlafzimmertür. Die weißen Schranktüren in der Diele reflektierten einen flackernden Lichtschein. Mit einem Mal war ich hellwach. Es brannte!
Ich weckte meine Frau und rannte in die Diele. Der Lichtschein kam aus dem Wohnzimmer. Dort hatten sich die brennenden Holzkugeln bereits gelöst und den Teppich und die Gardinen in Brand gesetzt. Ich packte das Schaffell, das immer vor dem offenen Kamin lag, und begann damit, die Brandherde zu ersticken.
Ich war noch rechtzeitig gekommen, der Schaden minimal. Die Gardinen mussten wir natürlich wegwerfen. Die Brandlöcher im Teppich und am Sessel sind kaum mehr zu sehen. Jedenfalls, wenn man nicht nach ihnen
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