Die Frau im Fahrstuhl
sucht. Auf die Frage, wer die dunkle Gestalt war, die mich geweckt hat, haben wir nie eine zufrieden stellende Antwort gefunden. Vielleicht finden wir sie nie. Bald ist wieder Weihnachten.
Einige Dinge vergisst man nie…
Es war mein erster Nachtdienst überhaupt, und ich war nervös. Als Schwesternschülerin war man auf Station nie allein, aber die erste Nacht zu arbeiten war trotzdem etwas Besonderes. Sie zeigte, dass man schon den größten Teil seiner Ausbildung hinter sich hatte. Die Schülerinnen im ersten und zweiten Jahr durften nachts noch nicht arbeiten.
Ich machte mein zweites Praktikum auf der Inneren Abteilung am damaligen Vasa-Krankenhaus. Es war recht alt und renovierungsbedürftig. (Inzwischen ist es wie bekannt renoviert und beherbergt einige Institute der TU Chalmers.) Meine Mentorin war eine große und kräftige Krankenschwester, die Schwester Ingrid hieß. Sie war etwas barsch, aber es hieß, sie habe unter der rauen Oberfläche ein Herz aus Gold. Ich fand, es war immer ein gutes Gefühl, sie neben sich zu wissen. Sie würde mir schon sagen, was zu tun war.
Schwester Elsa machte die Übergabe. Wie immer gab es zu viele Betten. Überall war es eng.
»Leider müssen wir eine neue Patientin zu Signhild ins Zimmer legen«, sagte Elsa.
Signhild kannte ich, da ich in der Woche zuvor tagsüber auf der Station gearbeitet hatte. Sie war früher Krankenschwester gewesen, war jetzt alt und litt an seniler Demenz. Sie hatte im Ekmanska-Krankenhaus gearbeitet. Seit Jahren litt sie an Herzinsuffizienz. Zusammen mit ihrer zunehmenden Demenz hatte das dazu geführt, dass sie auf dieser Station gelandet war. Sie würde so lange bleiben, bis für sie ein Platz in einem Pflegeheim gefunden worden wäre.
»Die neue Patientin kommt von der Notaufnahme. Sie heißt Kerstin Olsson und ist erst fünfundvierzig, aber stark übergewichtig. Sie wiegt hundertzwanzig Kilo. Seit einigen Tagen leidet sie zunehmend an Atembeschwerden, und jetzt hat sie auch noch Schmerzen auf der rechten Seite des Brustkorbs.«
Schwester Kerstin unterbrach.
»Nicht auf der linken Seite?«, fragte sie.
»Nein. Das Herz klingt sehr gut, und für morgen sind Thoraxröntgen, ein Belastungs-EKG und Spirometrie anberaumt. Mal schauen, was dabei rauskommt. Dann sehen wir weiter.«
»Klingt alles in allem nicht schlecht.«
Wir machten eine Runde und begrüßten die Patienten. Schwester Ingrid stellte mich allen vor, was ziemlich überflüssig war, weil ich bereits auf der Station gearbeitet hatte und die meisten kannte.
In Signhilds Zweibettzimmer herrschte totales Chaos. Von Erde umgeben saß sie im Nachthemd auf dem Boden. Sie hatte es sich in den Kopf gesetzt, die Pelargonie umzupflanzen, die auf ihrem Fensterbrett gestanden hatte. Wild entschlossen presste sie Wurzeln und einen Klumpen Erde in ein Zahnputzglas. Dabei erklärte sie Kerstin Olsson im anderen Bett, wie wichtig es sei, Blumen in regelmäßigen Abständen umzutopfen.
Schwester Ingrid ging auf die erdige Dame zu und sagte milde: »Signhild. Es ist viel zu spät, um das noch heute Abend zu erledigen. Jetzt gehen wir in die Dusche, und danach bekommen Sie ein frisches Hemd.«
Mütterlich legte sie ihrer alten Kollegin einen Arm um die mageren Schultern und führte sie auf den Gang.
Ich stellte mich Kerstin Olsson vor. Diese lächelte und sagte: »Die alte Dame ist so lieb. Sie erinnert mich an meine Großmutter väterlicherseits. Sie lebt noch und ist inzwischen vierundneunzig!«
»Tja, Signhild ist neunundachtzig, also nicht sehr viel jünger«, meinte ich.
Kerstin lächelte.
»Es macht mir nichts aus, das Zimmer mit Signhild zu teilen. Ich habe jahrelang in Pflegeheimen gearbeitet und bin alte Leute gewöhnt. Sie tun keinem was.«
Als Signhild und Schwester Ingrid zurückkamen, meinte Kerstin: »Das war doch sicher nicht das Schlechteste, zu duschen und ein sauberes Hemd anzuziehen.«
Signhild schaute sie an und nickte kurz.
»Stimmt. Aber ich finde, sie sollten einem feinere Kleider geben, jetzt wo der König kommt und alles. Deswegen ist da draußen auch so eine Unordnung. Sie müssen alles aufräumen, bevor er kommt. Der König. Und die Königin kommt auch.«
Zufrieden mit dieser Feststellung kroch die alte Dame unter ihre Decke, schloss die Augen und schlief auf der Stelle ein.
Bei unserer zweiten Runde um Mitternacht schliefen die meisten Patienten. Deswegen waren wir sehr erstaunt, Signhild hellwach in ihrem Zimmer anzutreffen. Sie hatte sich den einen
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