Die Frau im Fahrstuhl
Kommunalarbeiterverbund, der Gewerkschaft des Öffentlichen Dienstes, hier in Göteborg. Ich bin für Anna-Lisa Svensson eingesprungen, die heute Morgen krank geworden ist. Ich heiße Gun Andersson. Könnte mir jemand vielleicht rasch das Problem erläutern? Wer kommt da nachts immer?«
Missmutig sah Tore Benzen sie an.
»Das Problem besteht darin, dass ein Gespenst auf Station eins umgeht und des Nachts Patienten wie Personal in Angst und Schrecken versetzt«, antwortete er unwirsch.
Ein Lächeln huschte über das Gesicht der Gewerkschaftsvertreterin. Glücklicherweise konnte sie gerade noch ein Kichern unterdrücken. Ein Blick auf Tore Benzen belehrte sie eines Besseren.
»Ich bin seit über zehn Jahren Oberarzt hier am Krankenhaus. Erst letzten Herbst, als der Mangel an Nachtschwestern akut wurde, hat mir Schwester Stina von unserem nächtlichen Gast erzählt. Natürlich habe ich ihr kein Wort geglaubt, aber um herauszubekommen, wo das Problem liegt, verbrachte ich um Mitternacht einige Stunden auf der Station.«
Benzen verstummte und starrte auf die Tischplatte. Nach einer Weile meinte er verlegen: »Diese eine Nacht überzeugte mich davon, dass … dort nicht alles mit rechten Dingen zugeht. Schwester Stina weiß jedoch besser als ich, was in den letzten Jahren so vorgefallen ist. Vielleicht können Sie das ja noch näher ausführen mit dem … Gespenst.«
Der Oberarzt sah die Nachtschwester an.
Stina Bengtsson war etwa fünfundfünfzig Jahre alt. Sie trug ihr Haar zu einem strengen Knoten hochgesteckt. Ihre altmodische Brille und ihr ungeschminktes Gesicht ließen sie als genau das erscheinen, was sie war: eine tief gläubige Anhängerin der Pfingstbewegung. Wenn man sie nicht näher kannte, wirkte sie nicht selten reserviert, aber hinter der strengen Fassade verbarg sich ein Herz aus Gold. Sie gehörte zu den Leuten, die sich wirklich um ihre Mitmenschen kümmerten und auf die immer Verlass war. Wenn es einen Menschen gab, dem ich blind vertraute, dann Stina.
Sie sah die Gewerkschaftsvertreterin prüfend an und ergriff dann das Wort.
»Ich heiße Stina Bengtsson und arbeite hier seit fünfzehn Jahren als Krankenschwester. Immer als Nachtschwester. Ich habe mich als Einzige nicht kleinkriegen lassen. Obwohl es furchtbar ist, wenn sie auf der Station ihr Unwesen treibt, weiß ich, dass der Herr über mich wacht. Ohne meinen Glauben hätte ich vermutlich schon lange aufgegeben.«
Fassungslos schaute Gun Andersson erst auf Dr. Benzen und dann auf Schwester Stina.
Ich weiß nicht, ob meiner Kollegin auffiel, dass die Gewerkschaftsfrau sie mit aufgerissenen Augen anstarrte, jedenfalls fuhr sie ungerührt fort: »Bei unserem Gespenst handelt es sich um eine alte Krankenschwester, die vor etwa sechzig Jahren verstorben ist. Sie hieß Schwester Fredrika und hat über dreißig Jahre lang hier gearbeitet. Damals wohnten die Schwestern noch im Krankenhaus, und da Schwester Fredrika Oberschwester war, hatte sie eine eigene Wohnung im Dachgeschoss. Es handelte sich um ein Zimmer mit Schlaf- und Kochnische. Eine Toilette mit Waschbecken gehörte ebenfalls zu der Wohnung. Das war damals ein ziemlicher Luxus. Dort wohnte sie also, während sie hier arbeitete. Offenbar war die Arbeit ihr Ein und Alles. Man würde sie heute als Workaholic bezeichnen. Aber damals sah das Arbeitsleben anders aus. Die Schwestern hatten im Prinzip rund um die Uhr Dienst. Es wurde nicht zwischen Nachtschwestern und anderen unterschieden, sondern alle arbeiteten Schicht.«
Gun Andersson brauchte nicht zu sagen, was sie davon hielt. Ihr Gesicht glich einem offenen Buch. Ihre Zweifel waren ihr deutlich anzusehen. Schichtarbeit? Hatten sie wirklich im Krankenhaus gewohnt? Hatten alle eine Krankenschwesternausbildung gehabt? Hatte es damals keine Pfleger und Pflegehelferinnen gegeben? Ehe sie noch mit ihren Fragen beginnen konnte, fuhr Stina fort: »Schwester Fredrika lebte ihr Leben hier im Krankenhaus. Offenbar hatte sie keine Verwandten oder engere Freunde. Das Krankenhaus war ihr Leben. Deswegen war es ein umso härterer Schlag für sie, als sie krank wurde. Im Jahr nach ihrem sechzigsten Geburtstag erkrankte sie an Niereninsuffizienz. Es ging ihr richtig schlecht. Wahrscheinlich hatte eine unbehandelte Blasenentzündung auf die Nieren übergegriffen. Damals hatte man das noch nicht so recht im Griff. Womöglich hat sie den Ärzten auch überhaupt nichts davon erzählt. Über so etwas sprach man nicht. Vielleicht war es den Ärzten auch
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