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Die Frau im gepunkteten Kleid

Die Frau im gepunkteten Kleid

Titel: Die Frau im gepunkteten Kleid Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beryl Bainbridge
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nichts Gutes bei rauskommt«, versetzte er. »Einschließlich der Rolle, die du gespielt hast.«
    Webster schoss hoch und knallte die Motorhaube zu. »Jeder andere«, schrie er, »der nicht total blind und taub war, hätte gemerkt, was da vor sich ging.«
    »Du warst auch mein Freund«, sagte Harold und hörte das Winseln in seiner Stimme. Der Hund sprang an ihnen hoch und bellte.
    »Verpiss dich«, brüllte Webster und meinte nicht den Hund. Er packte Harold an den Schultern und schlug ihn zu Boden. Ein Schlüsselbund fiel ins Gras.
    Was nun geschah, war sehr peinlich. Rose rannte die Stufen hinunter, nahm Harold in die Arme und schrie Webster an, er solle abhauen. Ihre Lippen lagen auf seiner Wange, ihr Atem duftete moschusartig nach Tabakrauch. Sie kraulte ihn mit zwei Fingern hinter dem Ohr und krabbelte über seine Haut, als halte sie die Katze im Arm. So in ihren Armen geborgen, fiel Harold ein, dass Frauen darauf programmiert waren, Mitleid zu zeigen, nicht aus vernünftigen Gründen, sondern aus einem schieren Bedürfnis heraus.
    Nach einem Versöhnungshandschlag mit Webster ging er zum Campingbus, musste aber sofort wieder kehrtmachen und höchst würdelos auf allen vieren durchs Gras kriechen, um seinen Schlüssel zu suchen.

6
    Weiter ging die Reise über schimmernde Straßen, gesäumt von krausen Bäumen. Wunderbarerweise oder vielleicht dank Webster war das Klappern im Motor verschwunden.
    Rose fühlte sich jetzt, wo sie Harold tatsächlich berührt hatte, wesentlich wohler. Er zeigte es nicht, aber sie spürte, dass die Feindseligkeit zwischen ihnen abgenommen hatte. Es war ein bisschen wie bei der Scheu, die man empfindet, bevor man Sex hat, und der lockeren Vertrautheit, die sich einstellt, wenn es erst einmal passiert ist. Ihr war während der Präliminarien immer unbehaglich zumute, sie wusste nie, wie sie sich benehmen sollte, schwamm sich aber während des Aktes frei und verspürte eine tränenselige Erleichterung, wenn die Liebe verpuffte wie Wasserdampf aus einem Kessel.
    Trotz ihres neuen guten Einvernehmens fand sie Harold immer noch sonderbar. Eine Weile palaverte er darüber, wie schlecht Webster die Frau mit den lackierten Zehennägeln behandelt hatte. Ganz offensichtlich habe er seine Liebhaberin bloßstellen
wollen, er lasse es an Respekt fehlen. Rose fühlte sich verpflichtet, auszuführen, dass es nur männliche Liebhaber gebe, keine Liebhaberinnen; Dr. Wheeler als gebildeter Mann habe sie diesbezüglich korrigiert, nachdem sie von ihrem Verhältnis mit einem beleibten Physikprofessor erzählt habe. Außerdem habe es sich bei Scharlachzehe um Websters Schwester gehandelt, und sie sei so hysterisch gewesen, weil ihr Mann sie vor Kurzem wegen einer jüngeren Frau verlassen habe und der gemeinsame Sohn das übel nehme. Er heiße Milton – der Junge –, nach der Stadt, in der er geboren sei, nicht nach dem Dichter.
    Darauf sagte Harold nichts und blieb auch stumm, während sich der Wagen einem verschwommenen Gebirge näherte. Rose blickte ihn von der Seite an, den buschigen Bart, die braunen Flecken auf den schwammigen Händen, sein ständig wippendes linkes Knie. Bestimmt handelte es sich bei ihm um eine in Finsternis verstrickte Seele. Vielleicht suchte er Dr.Wheeler deshalb so dringend, genau wie sie. Vor vielen Jahren, als sie geglaubt hatte, sie sei nicht mehr zu retten, hatte Dr. Wheeler ihr den Weg gewiesen. Er hatte nie etwas ausdrücklich erklärt, niemals von Gott gesprochen, sondern sie nur angestoßen und zu der Überzeugung gebracht, dass Erlösung nottat.
     
    Aus der Vogelperspektive gesehen, liegt Wanakena nicht weit von Kanada. Es war Indianerland, und ursprünglich waren Siedler hier hergekommen, um
Bäume zu fällen und in Bensons Bergwerk zu arbeiten. Harold wusste nicht genau, was man aus dieser Mine gefördert hatte, es dürfte wohl Eisenerz gewesen sein. Rose hatte in der Schule davon gehört, im Zusammenhang mit Altwasserarmen. Es gab ein kleines Dorf, einen Wald, einen Friedhof, einen See und einen Fluss. In einigen Gärten loderten Sonnenblumen, und ein Laden verkaufte Indianersouvenirs. Harold meinte, außer falschen Skalps und Pfeilspitzen finde man dort nichts Interessantes.
    Seine Freundin Mirabella wohnte in einem eingeschossigen Blockhaus auf Stelzen; eine Holztreppe führte auf ein kleines, völlig von Bäumen eingeschlossenes Grundstück hinunter. Sie musste immer das Licht brennen lassen, weil die Sonne nie in die Fenster schien. Sie war mittleren

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