Die Frau im gepunkteten Kleid
graue Locken unter einem Strohhut.«
»Er hat nie erwähnt, dass er verheiratet war.«
»Du auch nicht«, gab sie zurück, und das brachte ihn zum Schweigen.
Das Bargeld ging ihm aus, und er musste einen Scheck einlösen. Sie bestand darauf mitzukommen. »Es tut mir gut, wenn ich mich bewege«, sagte sie, »mein Po ist schon ganz taub.«
Ihm wäre es lieber gewesen, sie hätte den Campingbus bewacht, aber sie sprang schon aus der Tür. Gleichgültig, an welchem Laden sie vorbeikamen, sie flitzte hin, um einen Blick ins Schaufenster zu werfen. Sie konnte ihre Gedanken nicht für sich behalten, stieß leise Schreie des Erstaunens aus, wenn sie sich umdrehte, um die Passanten zu mustern, und machte laute Bemerkungen über die vielen verschiedenen Rassen. »Dieser Farbige«, rief sie und stupste ihn in die Rippen, »hat Augen wie ein Chinese.« Er wünschte ihr den Tod.
Die Bank war nur halb voll, und er musste nicht lange warten. Vor ihm stand eine hinkende Frau, und ein anderes weibliches Wesen am nächsten Schaltergitter trug eine rosa Schleife im hochtoupierten, gefärbten Haar. Er stellte gerade einen Scheck aus, als jemand gellend schrie. Er drehte sich um und sah einen Mann mit einer Maske über dem Gesicht, der Rose am Hals gepackt hatte und ihr eine Pistole an die Schläfe hielt. Sie drehte sich in seinem Arm um und begrub ihr Gesicht in seinem Mantel; verblüfft tätschelte er ihr den Kopf, als tröste er einen jungen Hund. Ein Mann am Eingang, der sich einen Schal über Nase und Mund gezogen hatte, befahl allen, sich auf den Boden zu werfen.
Die nächsten Sekunden waren wirr und traumatisch. Ein Teil von Harold überlegte, ob er aufspringen und Rose dem Gangster entwinden solle, aber der größere Teil hieß ihn auf dem Bauch liegen bleiben,
klopfenden Herzens und mit dem Gesicht auf dem Holzboden. Minuten später, es hätten auch Stunden gewesen sein können, stürmte eine Schar bewaffneter Polizisten das Gebäude, und der Gangster und sein Komplize wurden überwältigt. Schüsse fielen keine. Der Mann, der Rose festhielt, warf seine Waffe auf den Boden. Als ihm die Maske vom Gesicht gerissen wurde, wirkte er verdutzt. Harold zitterte und hatte das Gefühl, in einem Film mitgespielt zu haben. Entsetzt merkte er, dass er sich nass gemacht hatte.
Rose und er mussten noch dableiben und wurden befragt. Er erinnere sich einzig und allein an den Schrei seiner Freundin, sagte er.
»Ich habe nicht geschrien«, protestierte sie. »Warum hätte ich schreien sollen? Ich habe gedacht, die Pistole ist nicht echt.«
Er merkte, dass die Bullen sie seltsam fanden, teils wegen ihres englischen Akzents, teils weil sie so gar nicht hysterisch reagierte. Sie sagte, geschrien habe die Frau mit den Perlenohrringen und der Schleife im Haar.
»Ohrringe habe ich keine gesehen«, sagte er.
»Ich habe die Augen zugemacht«, sagte sie zu den Polizisten. »Ich hab mal gelesen, sie erschießen einen nicht, wenn man ihnen nicht ins Gesicht starrt.«
Sie beschrieb eine Frau mit einem Pflaster auf dem Knie, die Sekunden vor Harold am Schalter gewesen sei. Außerdem habe in der Schlange hinter ihm ein Mann gestanden, der auf einer Zeitung
rumgekritzelt und einen Schal getragen habe; dann sei er zur Tür gerannt und habe sich den Schal übers Gesicht gezogen.
»Der Schal hatte ein Schottenmuster. Ich weiß nicht, welcher Clan.«
Auf die Frage, wo sie sich aufhalten werde, antwortete sie: »Irgendwo in Malibu. Eine reiche Stadt am Meer.«
Die Polizei überprüfte noch Harolds Bankdaten und ging mit ihnen zum Campingbus, um Roses Pass und Visum zu kontrollieren, dann durften sie weiterreisen.
Wieder unterwegs, versuchte Harold mit ihr zu reden. Sie musste sich doch schwach und verängstigt fühlen. Er war entsetzt über seinen Wunsch von vorher, sie möge tot sein; ihn quälte der absurde Gedanke, Gott habe ihn erhört.
»Du darfst jetzt zusammenbrechen«, sagte er. »Ich verstehe das. Das ist nur normal nach dem, was du durchgemacht hast.«
»Mir ist nicht nach Zusammenbrechen«, sagte sie, »so ungewöhnlich war es ja auch wieder nicht.«
Er wurde nicht schlau aus ihr und kam zu dem Schluss, dass seine eigene Reaktion aus einem wachen Bewusstsein für Gefahr erwachsen war; bestimmte Menschen waren eben sensibler als andere. Um die Zweifel zu verdrängen, die ihn bestürmten, schaltete er das Radio an und landete in einer politischen Debatte über Kennedys Chancen, die Vorwahlen in Oregon zu gewinnen.
Viele Amerikaner
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