Die Frau im gepunkteten Kleid
unfähig, einen Satz zu äußern, ohne sich für ihre Aufdringlichkeit zu entschuldigen. Innerhalb von Minuten war Rose umgeben von dicken Frauen und
muskulösen Männern, die sie so höflich ausfragten, dass sie nicht zu antworten vermochte, nicht aus vollem Herzen. Irgendwann kam die Rede auf den Krieg und die Rolle, die ihr Land dabei gespielt hatte. Bei ihnen hörte es sich an, als sei auch sie, Rose, daran beteiligt gewesen, dabei hatte sie den »Blitz« vorwiegend unter dem Esstisch verschlafen. Es stimmte schon, die Briten hatten die Deutschen besiegt, aber das hätten sie nicht geschafft, wenn Präsident Roosevelt Winston Churchill kein Geld geliehen hätte. Rose merkte allmählich, dass es ungebildete Leute waren, aus einer anderen Schicht als Mirabella, die Shaefers oder der Mann im Bademantel, der Harold niedergeschlagen hatte.
Sie hing diesen Gedanken nach, als auf einmal jemand einen Arm um sie legte und sie von der Gruppe wegführte. Finger spielten an ihren Brüsten herum. Sie riss sich los und stand vor einem Mann mit einer Augenklappe; sein zweites Auge zwinkerte vielsagend. Er fände es reizend, meinte er, sie näher kennenzulernen. Obwohl dies eine ungewöhnlich nette Form war, ein dringendes Bedürfnis anzumelden, wies sie ihn entschieden zurück. Zu oft hatte sie sich aus Höflichkeit in schwierige Situationen gebracht. »Tut mir leid«, sagte sie, »vielen Dank, aber da würde mein Mann sehr ärgerlich.«
Sie ging gerade auf Harold zu, als es plötzlich laut wurde. Hayland stand schwankend auf einem Bierkasten und bat brüllend um Schweigen. »Dem Mann
dort«, schrie er und zeigte in die Dunkelheit, »meinem Kumpel, ist das Haus bis auf die Grundmauern abgebrannt.« Mitleidiges Gemurmel der Gäste.
Rose blieb stehen, die Augen freudig geweitet; sie war nicht mehr allein.
Sie suchten im Portal der Kirche Schutz vor dem Regen. Sie hatte ihm gerade von dem Streit am Sonntag erzählt, als Tante Phyllis zum Tee gekommen war. Mutter hatte beim Rommé geschummelt, Vater hatte die Spielkarten auf das Messingtablett gedonnert, und Tante Phyllis war weinend heimgegangen. »Warum müssen die Menschen sich dauernd gegenseitig wehtun?«, fragte sie Dr. Wheeler. Er erwiderte: »Wenn du einen Kompass suchst, der dich durchs Leben leitet, dann gewöhne dir an, die Welt als Strafkolonie zu betrachten. Solange du dich daran hältst, siehst du in unangenehmen Ereignissen, in Leid, Sorgen und Elend, nichts Ungewöhnliches mehr. Du erkennst vielmehr, dass alles so ist, wie es sein muss; jeder von uns zahlt die Strafe fürs Dasein auf seine eigene, besondere Weise.«
»Ich sag euch«, grölte Hayland und spie Hass, »wenn mir das nächste Mal so ein Scheißnigger über den Weg läuft, reiß ich ihm den Kopf ab. Seid ihr dabei?« Donnernder Beifall hallte durch die Bäume.
Plötzlich standen Harold und der Mann mit der Baseballmütze links und rechts von Rose und packten sie am Ellbogen. »Dreckskerl … Dreckskerl!«, schrie Harold, und sie schafften sie rasch fort.
11
Der Mann, der geholfen hatte, Rose von der Geburtstagsfeier wegzuführen, stellte sich als John Fury vor. Er war klein und untersetzt und trug einen teuren, wenn auch zerknitterten weißen Anzug. Er sei von Beruf Rechtsanwalt, sagte er, und leite eine Kanzlei in Los Angeles. Außerdem sei er an einem Gestüt in Santa Ana beteiligt, dreißig Meilen vor der Stadt. Harold hatte als Junge ein Pony besessen und bildete sich deshalb ein, mit Fury etwas gemeinsam zu haben. Sie sprachen über Stammbäume, bekannte Rassen und berühmte Pferde.
Rose tanzte mit flatterndem Rock herum, ein Schatten unter den Bäumen. Diesmal mischte sie sich nicht ein. Harold fand es erholsam, ein Gespräch zu führen, ohne ihren banalen Einwürfen ausgesetzt zu sein.
Schade nur, dass ihnen so wenig Zeit blieb. Fury musste eine wichtige Rechtssache vorbereiten, es ging um Betrug, und er wollte im Morgengrauen aufbrechen. Sein Ziel war ein Gehöft in den Salmon River Mountains, dort konnte ihm eine Frau möglicherweise eine entscheidende Auskunft geben.
Harold sagte: »Reisen ist herrlich, nicht wahr? Es belebt, wenn man die vertraute Umgebung abschüttelt.«
»Das kann man wohl sagen«, pflichtete ihm Fury bei. »Gestern hatte ich ein ganz …« Er unterbrach sich und lächelte verlegen. Er schob den Mützenschirm zurück und rieb sich die Stirn.
»Ein ganz was?«, fragte Harold nach.
»Ein ganz seltsames Erlebnis … eine Art spirituelle Erkenntnis. Es klingt
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