Die Frau im Kühlschrank
etwas anderes erwartet?«
»Na ja, ich …« Ich hob die Schultern zur Antwort. Ehe ich die Tür erreicht hatte, hielt er mich mit einem erneuten Räuspern zurück.
»Und – Veum …«
Ich drehte mich um.
»Keine privaten Nachforschungen. Versuch nicht, deine Kleine allein zu finden.«
»Ich …«
»Du weißt nichts über ihr Verschwinden? Etwas, das du in der Eile zufällig vergessen hast, uns zu erzählen?«
Einen kurzen Moment lang sah ich die beiden Pinguine in dem großen Wagen vor mir. »Frag Ole Johnny«, antwortete ich.
»Ole Johnny? Wieso?«
»Das ist die einzige Verbindung, die ich mir denken kann.« Das sollte ihm genügen. Wenn ich ihm von den zwei Kerlen erzählte, die versucht hatten, mich zu überfahren, würde ihm nur schwindelig werden. Vielleicht war das der Tropfen, der das Faß zum Überlaufen bringen würde, und ihn dazu, mich einzusperren – zu meiner eigenen Sicherheit. Und wenn es einen Ort gab, wo ich gerade jetzt nicht sein wollte, dann war es inmitten von vier Wänden und einer Stahltür. Ich hatte eine Verabredung, um sechs Uhr. Und ich würde auf jeden Fall dort sein.
Ich ging auf die Tür zu. Sie öffnete sich und ein Polizeiwachtmeister kam hereingerauscht. Er hatte einen Fernschreiberstreifen in der Hand. »Es ist wichtig«, sagte er atemlos und reichte Bertelsen den Streifen.
Ich blieb stehen und betrachtete Bertelsen. Er überflog den Text. Die Augen weiteten sich, und der Mund wurde schmal. Ich rührte mich nicht vom Fleck. Die Neugier hatte gesiegt.
Er hob den Blick und sah mich an, »Aus Las Palmas. Sie haben Irene Jansen da unten festgenommen. Ein norwegischer Tourist erkannte sie anhand der Fahndungsmeldung.«
»Irene Jansen? Aber steht da – hat sie erzählt …?«
Er blickte rasch wieder auf den Papierstreifen. »Sie sagt, daß sie die Wohnung allein verlassen hätte. Daß sie nichts weiß. Daß sie diesen Aufenthalt auf den Kanaren schon lange geplant hatte und daß sie am Morgen danach gefahren sei. Wir werden es ja hören, wenn sie kommt. Sie schicken sie morgen in Richtung Norden. Aber scheißegal, was sie zu erzählen hat: Es gibt uns ein neues Rätsel auf.«
»Genau«, sagte ich. »Es sieht aus, als gäbe es zwei große Fragen in diesem Fall: nicht nur, wer den Mord begangen hat – sondern auch, wer eigentlich ermordet wurde.«
»Wer zum Teufel kann sie sein – die Frau im Kühlschrank?« Er sah mich fast hilflos an.
Ich lächelte ein zaghaftes, schiefes Lächeln. »Wenn du Hilfe brauchst, ruf mich ruhig an. Ich geh jetzt. Ich hab eine Verabredung um sechs.«
Sein Blick wurde sofort mißtrauisch. »Ach ja? Mit wem?«
»Mit mir selbst«, sagte ich und ging rasch durch die Tür.
»Veum!« rief er hinter mir her.
Ich blieb im Flur stehen und wartete.
Er erschien in der Türöffnung. »Halt dich zur Verfügung, Veum.«
»Selbstverständlich«, sagte ich, nickte kurz und verließ das Haus.
Es war eine Pause zwischen zwei Regenschauern, und weißes Licht hing über der Stadt. Ich sah die Konturen der Häuser, die Strukturen der Wände, die Risse im Holz und die abgeschlagenen Backsteinecken ebenso deutlich, wie du die Falten siehst in einem Gesicht, das so nah ist, daß du es berühren kannst. Elsa – sie hatte nicht viele Falten, noch nicht. Aber sie war so nah gewesen, nur schien es schon eine Ewigkeit her zu sein.
Ich ging an Breiavatnet entlang zum Postamt in der Kaniksgate. Ich wechselte ein paar Scheine in Münzen um und suchte eine freie Telefonzelle. Auf der Ablage vor mir lag der Zettel mit den zwei Telefonnummern, beide in Bergen.
Als erstes rief ich Frau Samuelsen an. Es dauerte lange, bis sie abnahm, und ihre Stimme war dünn und müde. »Hallo?«
»Hallo. Hier ist Veum.«
»Oh.« Sie klang nicht sonderlich erfreut. Sie zögerte einen Moment. »Gibt es etwas – Neues?«
»Nein, ich – Sie haben nichts von ihm gehört?«
Der gleiche müde Tonfall. »Von Arne? Nein.«
»Aber die Polizei – sie sind bei Ihnen gewesen, nicht? Sie haben erfahren, was passiert ist?«
»Ja.«
Stille.
Ich brach sie: »Könnten Sie – könnte ich Sie ein paar Dinge fragen, Frau Samuelsen? Es – es könnte vielleicht von Bedeutung sein für – den Fall.«
»Die Polizei hat gesagt, daß ich nicht auf Fragen antworten soll. Von niemandem.«
»Sie dachten wohl an die Presse.«
»Sie nannten speziell Sie, Veum.«
»So? Aber woran ist ihr Mann gestorben?«
»Mein Mann? Warum – er …« Stille.
Nach einer Weile sagte ich: »Hallo?«
»Ja, ich
Weitere Kostenlose Bücher