Die Frau im Rueckspiegel
In deren Miene regte sich nichts. Nur ein kurzes Kopfnicken antwortete Christiane.
Christiane gab es auf. Sie würde diese Frau nie verstehen. Gestern noch modelte Rebecca für sie ihre Termine um, damit sie ihr Spiel schaffte, und nun? Eiszeit. Rebecca war wieder die kühle distanzierte Chefin. Wie gehabt.
O Gott, die werden ja immer jünger!
Die Frau, die in den Mercedes stieg, war höchstens zwanzig. Rebecca bevorzugte offensichtlich die jüngeren Semester. Dagegen war ja nichts zu sagen, aber sooo jung?!
Christiane schüttelte den Kopf.
Was, Chris? Bist du schockiert? Dann behalte es für dich! Es geht dich nichts an, was Rebecca treibt.
»Hallo. Du bist Rebecca?« fragte das Mädchen mit deutlich südländischem Akzent.
»Nein. Ich bringe dich zu ihr.« Automatisch duzte Christiane das Mädchen zurück.
»Ich bin Rachel.«
»Hallo Rachel. Schnall dich bitte an.«
Christiane parkte aus.
Dieses Mädchen schien nett, dachte sie dabei. Was man so nach dem ersten Eindruck sagen konnte. Aber Rachel wußte nicht mal, zu wem sie eigentlich ins Auto stieg. Das war doch der pure Leichtsinn.
O Gott. Ich bin eine Zuhälterin! durchfuhr es Christiane.
Nein! Nein, nein, sagte sie sich hastig. Keine Panik! Hier wurde niemand zu irgendwas gezwungen. Alles war ein Arrangement. Die beteiligten Personen hatten einen freien Willen. Vorsichtshalber vergewisserte Christiane sich mit einem kurzen Blick über die Schulter. Ja, Rachel machte einen entspannten Eindruck.
Entspannter als du!
Christiane fragte sich, woher ihre Unruhe eigentlich kam. Machte sie sich Sorgen um das Mädchen? Nein. Das war auch völlig überflüssig. Sie würde sie bei Rebecca abliefern, und . . . na ja . . . die beiden waren erwachsen.
Wie lief das wohl ab, wenn sie Rachel abgesetzt hatte? Kam Rebecca ohne lange Vorreden direkt zur Sache? Oder nahm sie sich Zeit für ein auflockerndes Gespräch, einen Drink, ein paar Fragen an Rachel? Wenn Rebecca Rachel dann berührte, würde sie zärtlich sein oder eher besitzergreifend?
War Rebecca wirklich zufrieden, so wie ihr Leben war?
Christiane! Du bist weder Rebeccas Freundin noch ihre Seelenklempnerin. Du hast keine Ahnung, wie Rebecca wirklich ist. Du kennst nur ein paar wenige Seiten von ihr. Die ergeben noch lange kein Gesamtbild. Höchstens ein Wunschbild!
»Das war aber schon dunkelorange«, kommentierte Rachel von der Rückbank her.
»Was?« Christiane erschrak.
»Die Ampel. Hast du die nicht gesehen?«
Gesehen schon. Registriert nein. Christiane war so mit ihren Gedanken beschäftigt gewesen, daß sie die Ampel viel zu spät bemerkte.
»Oder hast du es eilig?« Rachel wartete Christianes Erwiderung nicht ab. »Na klar«, antwortete sie gleich selbst. »Der Feierabend ruft. Wahrscheinlich mußt du wegen mir heute länger machen. Tut mir leid.«
»Ist doch nicht deine Schuld«, erwiderte Christiane zerstreut.
Sie fuhr etwas langsamer und versuchte, sich mehr auf die Straße zu konzentrieren.
Rebecca mußte schon auf sie gewartet haben. Sie trat aus dem Haus, als Christiane den Mercedes im ersten Gang die Auffahrt hoch rollen ließ. Rachel stieg aus, wurde von Rebecca mit einer flüchtigen Umarmung begrüßt und in Richtung Haus gewiesen. Bevor Rebecca Rachel folgte, wandte sie sich an Christiane. »Morgen früh bitte eine Stunde später.«
Christiane nickte stumm und fuhr los. Rebecca rechnete also mit einer langen Nacht. Nun ja, dagegen war nichts einzuwenden. Oder? Christiane fuhr sich mit der Hand durchs Haar. Nein. Das war es nicht. Aber warum stieg dann plötzlich ein Kloß in ihrem Hals hoch?
Die Nacht schlief Christiane unruhig. Sie träumte, daß ihr Wagen von einer Polizeistreife angehalten wurde. »Wer ist die Frau?« wollte der Polizist wissen und wies hinter Christiane. Die drehte sich um. Dort saß sie selbst, gerade achtzehn geworden und sehr leicht bekleidet neben Rebecca, die ihr aber keinerlei Beachtung schenkte. Sie las in irgendeiner Unterlagenmappe. Der Polizist war mit einem Mal verschwunden, und Christiane folgte gebannt der Szenerie, die sich auf der Rückbank abspielte. Ihre achtzehnjährige Ausgabe nahm Rebecca die Papiere aus der Hand, schmiegte sich aufreizend an sie. Rebecca schaute Christiane, die ältere, an und sagte: »Christiane, bitte erinnern Sie mich daran, daß ich später noch Besuch erwarte.«Die letzten Worte waren nur noch ein Hauchen. Dann küßte Rebecca leidenschaftlich Christianes wesentlich jüngere Ausgabe. Christiane rief laut:
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