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Die Frau im Tal

Die Frau im Tal

Titel: Die Frau im Tal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ketil Bjørnstad
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die Blicke derfernen und nahen Familienangehörigen, die Blicke der Freunde und Bekannten, denen langsam bewußt wird, daß Marianne ja verheiratet war, obwohl nichts davon in der Todesanzeige stand. Was spielt das jetzt für eine Rolle. Sie lebt, denke ich. Wenn ich die Schwester betrachte, wie sie da steht und redet, leben sowohl Marianne als auch Anja in Sigruns Gesten, die gleichen Handbewegungen, das Lächeln und die unverkennbaren Fältchen in ihrem Gesicht.

    Nach einer Weile kommen sie zu mir.
    »Setzen wir uns«, sagt Sigrun Liljerot.
    Ich nicke. Sie mustert mich eingehend.
    »Ihr wohnt ziemlich weit weg von allem?« sage ich gemäß meiner Gewohnheit, lieber über andere zu reden.
    »Ich habe Eirik dort oben kennengelernt«, sagt sie. »Ich war als Assistenzärztin in Kirkenes.«
    »Das ergab sich von selbst«, mischt er sich ein. »Ich stamme aus Svanvik.«
    »Dann wohnt ihr also in …«
    »Pasvikdalen«, sagt er.
    »An der Grenze zur Sowjetunion«, sagt sie.
    Ich nicke. Dieses höfliche Geplauder führt zu nichts. Aber für einen kurzen Moment sieht sie mich offen an, und mir ist, als würde ich in eine tiefe Verzweiflung blikken.
    »Du mußt uns einmal besuchen«, sagt Eirik Kjosen. »Das würde dir guttun. Du kannst mitkommen auf die Rebhuhnjagd. Wir können Bären beobachten. Nach Lappland fahren. Goldgräber spielen. Lachse fangen. Und du kannst für die jungen, erlebnishungrigen Schüler ein Konzert geben. Das wird unvergeßlich sein für sie.«
    »Du brauchst dringend Erholung«, sagt Sigrun Liljerot. »Hast du jemanden, der sich um dich kümmert?«
    Ich möchte ihr am liebsten alles erzählen.
    »Ich habe viele gute Freunde«, sage ich. »Danke, daß ihr euch so um mich sorgt.«

    Es sind so viele, die mit Sigrun reden wollen, und ich ziehe mich wieder zurück. In dem intellektuellen Milieu, in dem Marianne verkehrte, gibt es vorwiegend Menschen mit einem starken Ego. Jetzt heben sie die Gläser, trinken Wein und reden lautstark miteinander. Das Begräbnis ist ein Vorwand, um zu feiern. Ich schlendere allein durch den Saal und schnappe Gesprächsfetzen auf. Die Stimmung wird immer angeregter. Ein junger Arzt erzählt einer Kollegin von einem Sommerhaus am Meer, das er kürzlich gekauft hat. Ein Onkel von Marianne unterhält sich begeistert mit einem blassen jungen Mann über eine Aufführung von Molières »Der eingebildete Kranke«. Plötzlich gellt ein lautes Lachen durch den Raum. Es kommt von der bebrillten Frau, die die Leichenrede hielt. Es ist, als würden jetzt alle in Raum zu lachen anfangen. Ein langsames, unmerkliches Crescendo. Sie sind ja noch am Leben. Das muß gefeiert werden. Man prostet sich zu. Ich sehe feuchte Lippen, zwinkernde Augen, weiße Zähne, schwitzende Stirnen. Das Lachen steigt an zu einer ungeahnten Lautstärke. Sogar Ida Marie Liljerot hebt das Glas und lächelt.
Die dunklen Keller
    Jeanette und Gabriel warten draußen am Eingang auf mich.
    »Mein Gott, habt ihr hier die ganze Zeit gestanden?« sage ich erschrocken und schaue auf die Uhr.
    »Wir können dich doch an so einem Tag nicht allein lassen«, sagt Jeanette und faßt mich beschützend um die Schulter.
    »Habe ich dich schon einmal gesehen?«
    »Jeanette Wiggen ist die zur Zeit begabteste Studentin an der Schauspielschule«, sagt Gabriel lakonisch. »In ein paar Monaten, nach den Theaterferien wirst du sie als eine unvergleichliche Hedda Gabler sehen. Keine kann sich so vortrefflich eine Kugel in den Kopf schießen wie sie.«
    »Gabriel, das ist nicht lustig!«
    »Macht nichts«, sage ich.
    »Wir können mit zu dir nach Hause gehen«, sagt Gabriel. »Wir können auch in die Stadt gehen und unsere Trauer hinunterspülen.«
    »Wir gehen in die Stadt«, sage ich.

    Jeanette geht in der Mitte, hat sich bei jedem von uns eingehängt. Völlig ohne jeden Halt, denke ich. Wie ein Gummiball. Kann nach allen Seiten hüpfen. Wir nehmen die Straßenbahn zum Nationaltheater und gehen die Treppen hinauf und hinein in den blauen Juniabend. Gabriel bestimmt die Richtung. Wir wollen nach Vika.
    »Da gibt es einen Jazzkeller«, grinst Gabriel. »Free Jazz. Das ist die Art von Musik, wie ich sie spiele. Freie Musik.«
    »Hältst du das für passend an so einem Tag?« sagt Jeanette und betrachtet mich prüfend.
    Mir ist fast schwindlig vor Müdigkeit. »Laß dich nicht herumkommandieren von ihm«, sagt Jeanette und drückt meinen Arm. »Du kannst jederzeit nach Hause gehen. Wir kümmern uns um dich.«
    »Ich lasse mich nicht

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