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Die Frau im Tal

Die Frau im Tal

Titel: Die Frau im Tal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ketil Bjørnstad
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mir dafür, daß ich bis hinauf nach Pasvik gekommen bin. Er sagt, daß Eirik Kjosen, der Lehrer für Sport und Musik, sicher ein paar Worte sagen möchte. Eirik erhebt sich und hält einen improvisierten Vortrag über die Macht der Musik. Er weiß sich ins rechte Licht zu rücken, ist es gewöhnt, zu Schülern zu sprechen. Er erzählt von dem ersten Instrument, das er gebastelt hat, einer Flöte, die er aus einem Ast schnitzte. Ich betrachte seinen Körper. Er ist noch durchtrainierter, als ich dachte. Was ihm an Größe fehlt, gleicht er durch Muskeln aus. Er hat die Figur eines Sportlers. Sigrun beobachtet ihn aufmerksam, während er spricht. Er fordert die Schüler auf, ihr Musikerlebnis in Worte zu kleiden.
    Allmählich verwandelt sich der Raum in ein Kaminzimmer. Alle zünden sich Zigaretten an. Die Lehrer rauchen. Die Schüler rauchen. Sigrun raucht. Ich rauche ebenfalls. Bald liegt der Rauch wie ein dichter Nebel im Raum, wir können einander kaum noch sehen. Nur Eirik raucht nicht. Wir bekommen Kaffee und Kuchen. Mir ist mehr nach Wodka, und ich flüstere Sigrun zu, daß ich noch mehr von ihrem Kaffee vertragen könnte.
    »Ich weiß nicht recht«, sagt sie.
    »Wodka riecht nicht«, flüstere ich.
    »Alkohol von gestern riecht immer«, sagt sie.
    Ich nicke. Aber als sie sieht, daß ich resigniere, ändert sie ihre Meinung und holt einen eiskalten Wodka in einer Thermoskanne. Das rettet mich über den Abend.
    Die Schüler wenden sich an mich. Sie stehen der Reihe nach auf. Zuerst ein kleines Mädchen mit samischenZügen. Sie redet mit langsamer, monotoner Stimme. Sie erzählt von ihrem Vater, wie er für sie vor dem Einschlafen gesungen hat. Sie spricht von Geschichten, die sie in die Musik hineindichtet, schreckliche und schöne. Eirik Kjosen lächelt ihr aufmunternd zu, wenn sie redet. Als wolle er ihr helfen, Wort um Wort. Ja, denke ich, Eirik Kjosen ist sicher ein guter Begleiter hinein in die Welt der Erwachsenen. Einer, wie ich ihn gebraucht hätte in den letzten Jahren, in denen ich mich fast ausschließlich an Selma Lynge orientierte. Denn Marianne war mir gewissermaßen nie an Erfahrung voraus, wollte es jedenfalls nicht zeigen.
    Ein Junge erhebt sich. Er sagt, daß er nichts von Musik versteht, aber daß es trotzdem toll war. Er habe dabei das gleiche Gefühl gehabt wie beim Skilaufen, sagt er.
    Und da ist sie, das Mädchen mit den langen schwarzen Haaren. Ich wußte, daß sie sich früher oder später melden würde. Sie ist die erste, die mich direkt anschaut.
    »Du hast mir neue Hoffnung gegeben«, sagt sie.
    »Hoffnung?« sage ich verständnislos.
    »Ja. Du bist nicht viel älter als ich, nicht wahr?«
    »Nein«, sage ich. »Ich werde bald zwanzig.«
    »Und ich bin achtzehn«, sagt sie.
    »Was möchtest du mir denn mitteilen?«
    »Daß Musik keine Sünde ist.«
    Sie setzt sich wieder. Eirik Kjosen flüstert mir etwas ins Ohr.
    »Sie stammt aus einem sehr pietistischen Elternhaus. Sie hat große psychische Probleme. Trotzdem ein phantastisches Mädchen.«

    Mehr wagen es nicht, öffentlich zu reden. Stille breitet sich aus. Verlegene Teenager, wie ich auch. Sie drehen Däumchen. Eirik Kjosen erhebt sich ein zweites Mal.
    »Da Aksel eine Weile in unserer Gegend bleiben wird, ist es nicht ausgeschlossen, daß ihr ihn noch mal sehen und hören könnt. Wollt ihr das?«
    Ein einstimmiges Ja dröhnt durch den Raum.
    »Natürlich werden wir ihn wiedersehen!« ruft Rektor Sørensen.
    Die mit den langen Haaren fixiert mich.
    Mir ist klar, daß wir noch nicht miteinander fertig sind.

    Aber für sie ist im Moment kein Platz in meinem Leben, denke ich. Normalerweise würde ich alles tun, um mit ihr in näheren Kontakt zu kommen und herauszufinden, wer sie ist. Aber nicht sie ist es, die ich sehe. Ich sehe nur Sigrun. An der Art, wie sie mich ansieht, merke ich, daß sie mich nicht wirklich sieht. Jedenfalls nicht so, wie ich möchte, daß sie mich sieht. Deshalb sieht sie auch nicht, wie sehr es Fluch oder Segen jeder Familie ist, daß man verurteilt ist, einander ähnlich zu sein, manchmal sind es Äußerlichkeiten wie Nase oder Kinnpartie, manchmal ist es die Art zu lächeln.
    »Wir können den Abend bei uns beschließen«, sagt sie mit einem prüfenden Blick auf Eirik.
    »Einverstanden«, stimmt er zu, »ich wollte das auch gerade vorschlagen.«
    »Aber du bist vielleicht zu müde?« Sigrun schaut mich direkt an.
    Ich merke, daß sie recht hat. Mein Kopf fühlt sich halb verfault an, wie Fallobst. Aber das

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