Die Frau im Tal
erwachsenes, schwieriges Leben. Sigrun und Eirik haben sich auf die Couch gesetzt. Er legt ihr mit dem Besitzerstolz des Ehemanns den Arm um die Schulter. Ich kann nicht erkennen, ob sie das mag. Ich beobachte sie aufmerksam, meine zu bemerken, daß sie angestrengt wirkt, daß sie sich nicht entspannt. Vielleicht ist das nur, weil sie sich meinetwegen Sorgen macht. Daß sie ihr Familienglück nicht vor einem demonstrieren will, der gerade Witwer geworden ist. Oder ist es Verlegenheit? Meint sie, daß wir in Kirkenes zu vertraulich miteinander waren? Bin ich zu rasch in ihr Leben getreten?Wir reden freundlich miteinander. Ich möchte es ihnen nicht schwermachen. Ich merke, daß mich beide respektvoll behandeln wollen. Eirik kann nicht verbergen, daß er gerne mehr über meine Pläne erfahren würde. Aber was soll ich dazu schon sagen, ich, der ungesunde und alkoholabhängige Typ aus der Hauptstadt.
»Du hast also vor, dir hier in der Gegend eine Bleibe zu suchen?«
»Ja«, sage ich. »Jedenfalls für einige Monate. Ich mußte einfach weg.«
»Das kann ich verstehen«, sagt Sigrun rasch.
»Warum nimmst du dir kein Zimmer hier im Internat?« sagt Eirik plötzlich. »Du brauchst nicht einmal etwas zahlen. Das Zimmer, in dem du heute nacht schlafen wirst, kann nicht als Vierbettzimmer genutzt werden, und es wäre ungerecht, es einem einzelnen Schüler zu geben. Rektor Sørensen hat mir bereits ins Ohr geflüstert, daß du es haben kannst, solange du es brauchst, wenn du nur für uns spielst und vielleicht etwas am Musikunterricht mitwirkst.«
»Hast du dir das genau überlegt?« sagt Sigrun vorsichtig und drückt seine Hand.
»Ja. Ich muß doch im Herbst und im Winter mit verschiedenen Gruppen Ausflüge mit Übernachtungen machen. Da wäre es eine große Hilfe, Aksel hier zu haben! Wir können das Klavier in dein Zimmer schaffen lassen. Tagsüber sind die Schüler ohnehin in dem anderen Gebäude. Und wenn du für uns spielen willst, können sechs starke Jungs das Klavier über den Hof transportieren.«
»Aber glaubst du denn, daß das Instrument gut genug ist für Aksel?« sagt Sigrun besorgt. »Er ist immerhin ein professioneller Pianist mit einer glänzenden Karriere vor sich …«
»Natürlich will ich hier bleiben«, sage ich begeistert. »Und das Klavier ist gut genug. Da sage ich gerne die Konzerte in der Finnmark ab.«
»Das darfst du nicht!« sagt Sigrun entsetzt. »Diese abgelegenen Ortschaften brauchen es wirklich, daß du sie besuchst. Außerdem hast du versprochen, zu kommen.«
»Du redest wie meine Mutter. Marianne hat nie so mit mir geredet, und sie war sieben Jahre älter als du!«
Sigrun errötet.
»Verzeihung«, sagt sie.
Wir versuchen beide, darüber zu lachen.
Im Kiefernwald
Es ist lang nach Mitternacht, als ich wieder draußen vor dem Bungalow stehe, als sie die Tür geschlossen haben und die Nerven verrückt spielen, weil ich dem Körper seit Stunden keinen Alkohol gegeben habe. Ich ziehe mich zwischen die Bäume zurück und bleibe reglos in dem graublauen Licht stehen. Hier kann mich niemand sehen. Hier fühle ich mich fast wie im Erlengebüsch. Hier bin ich der Beobachter, der Zuschauer, ohne für meine Wahrnehmungen zur Verantwortung gezogen zu werden. Die andern handeln, nicht ich. Sie meinen, ich sei gegangen und würde längst im Bett liegen. Sie meinen, ich würde meinen Rausch ausschlafen.
Aber ich stehe da und schaue den Mond an. Er kommt über die Hügel in Rußland, südlich der Fabrikschornsteine von Nikel. Er beleuchtet den Pasvikfluß, der unterhalb des Internats fließt.
Noch brennt in einigen Zimmern der Schüler Licht, und ein Junge und ein Mädchen sind zum Flußuferhinuntergegangen, wo sie nebeneinander stehen und den Mond anschauen, der sich im Wasser spiegelt, wie auf einem Bild von Edvard Munch.
Aber die beiden interessieren mich nicht. Mich interessiert der Bungalow zwischen den Bäumen. Mich interessiert, ob im Schlafzimmer noch Licht brennt. Ich will ungesehen Sigrun beobachten, so wie ich einmal zu Hause im Erlengebüsch stand und Anja beobachtete, die vorbeiging und sich von mir erschrecken ließ, ohne zu wissen, daß ich noch mehr erschrak. Der Taschenlampenmann war hinter mir her. Hätten sie Hunde gehabt, sie hätten mich gefunden. Sie suchten nach einem Verbrecher.
Ich nähere mich dem Bungalow, Schritt für Schritt, von Baumstamm zu Baumstamm, aber jetzt nicht mehr so sicher. Dieses Dämmerlicht verbirgt mich nicht. Und ich spüre, daß etwas in mir
Weitere Kostenlose Bücher