Die Frau im Tal
soviel Zeit im Bad, wie Marianne gebraucht hätte. Genauso lange, wie Samuel Barbers »Adagio für Streicher« dauert, das ich mir anhöre. Und als sie ins Wohnzimmer kommt, hat sie ein glänzendes, rotes Kleidan, das russisch wirkt. Es ist kurz, es endet eine Handbreit über den Knien. Ihr Körper wird sichtbar. Die langen Beine. Die Kniekehlen und die Füße. Nacktheit trotz der Kleidung. Sie folgt meinem Blick.
»Ich will nicht, daß du in mir Anja oder Marianne siehst«, sagt sie bestimmt. »Ich will kein Wort hören, daß ich ihnen ähnlich bin.«
»Niemand kann die Liebe eines andern wiederholen«, sage ich.
»Aber wir können vergleichen. So wie du Anja mit Marianne verglichen hast und mich mit Marianne. Eigentlich eine sehr spezielle Erfahrung für einen jungen Mann. Alle Liljerot-Frauen in einer Reihe.«
»So habe ich nie gedacht«, sage ich.
Sie geht zum Kühlschrank, holt eine Flasche Weißwein heraus.
»Die habe ich für uns aufgehoben«, sagt sie.
»Du hast gewußt, daß ich heute dasein würde?«
»Ich habe es gehofft.«
»Du verfügst über ein hohes Maß an Selbstsicherheit.«
»Nein, das verstehst du falsch.«
»Tanja Iversen sagte jedenfalls, daß alle Jungs der Internatsschule in dich verliebt seien.«
»Mach nicht etwas aus mir, was ich nicht bin. Ich bin eine ganz gewöhnliche Ärztin in der Finnmark. Ich bin eine passable Amateurviolinistin. Außerdem bin ich glücklich verheiratet.«
Ich kann nicht anders, ich muß sie in den Arm nehmen. Sie protestiert nicht, als ich ihren nackten Hals küsse.
»Es ist so schwer, das alles zu unterdrücken«, sagt sie. »Aber das müssen wir.«
»Und wie?«
»Am besten nicht daran denken. Wir haben einenlangen Winter vor uns. Wir dürfen nichts zerstören. Eirik hat sich so gefreut, als du zusagtest, bei uns zu bleiben. Er braucht wirklich jemanden, mit dem er reden kann, jemanden, der sein Interesse für Musik versteht. Und mir geht es genauso. Er war so glücklich, daß er dich getroffen hat.«
Das Verbotene, das geschieht, ist wie Benzin ins Feuer. Wir trinken, reden, berühren uns kurz und wie zufällig. Ich frage mich, ob sie schon viele Männer hatte. Etwas sagt mir, daß das nicht der Fall ist. Daß sie deshalb so direkt ist, daß die Spannung, die zwischen uns entsteht, ein Zustand ist, den sie sucht und der sie zurückbringt in ein Zusammenleben mit Eirik.
»Wie schön, daß du Barber aufgelegt hast«, sagt sie. »Wir sind sicher auf derselben Wellenlänge, wir beide.«
»Ich glaube schon«, sage ich.
»Ich möchte vor allem, daß du mein bester Freund wirst«, sagt sie. »Ich hatte nie einen besten Freund.«
Sie hat mehr Wein getrunken als ich. Plötzlich zeigt sich ein fremder Zug auf ihrem Gesicht.
»Ich hätte vielleicht nicht trinken sollen, ich muß ja spielen«, sage ich pflichtschuldigst und stelle mein Glas ins Spülbecken.
»Entschuldige«, sagt sie, und es tut ihr wirklich leid. »Das war meine Schuld. Ich hätte natürlich daran denken sollen.«
»Mach dir keine Sorgen«, sage ich. »Das geht schon. Der Wodka, den du mir gegeben hast, war eine gute Übung.«
»Erinnere mich nicht daran«, sagt sie streng. »Und gib mir nicht die Schuld. Ich habe es getan, weil ich für niemanden der Richter sein will. Ich merkte, daß du ihn brauchst.«
»So wie Sterbende die erlösende Spritze brauchen?«
Sie wirft mir einen erschrockenen Blick zu.
Wiedersehen mit Rebecca
Wir erreichen den großen Festsaal von A/S Sydvaranger in einem schwarzen Volvo mit Chauffeur, der über eine halbe Stunde vor Sigruns Wohnung gewartet hat.
»So ist Gunnar«, sagt sie fast entschuldigend.
»Woher kennst du Gunnar Høegh?« sage ich.
»Ich war die erste, die einmal erkannte, wie krank er damals war.«
»Du hast ihn gerettet?«
»So kann man es vielleicht sagen. Seine Frau war gerade an Krebs gestorben. Alles sah danach aus, als würde nun er an der Reihe sein, aber es kam anders. Später hat er sich für mich eingesetzt. Er unterstützte ein Kinderheim in Murmansk, für das ich Geld sammelte. Er überlegt ständig, was er für mich tun kann.«
»Schon gut«, sage ich. »Hauptsache, du weißt, was er nicht tun soll.
Wir lachen beide.
Gunnar Høegh empfängt uns am Eingang. Høegh trägt den blauen Anzug. Jetzt sehe ich die Reste der Krankheit in seinem Gesicht. Aber ich sehe auch, mit welcher Vertrautheit er und Sigrun sich begrüßen. Der rasche Kuß auf den Mund, der alles und nichts bedeuten kann. Seine glatten Komplimente, über
Weitere Kostenlose Bücher