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Die Frau im Tal

Die Frau im Tal

Titel: Die Frau im Tal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ketil Bjørnstad
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die sie lacht, die sie aber trotzdem annimmt.Er begrüßt mich nicht sofort. Er mustert mich zuerst.
    »Wir konnten dich nicht erreichen«, sagt er beinahe vorwurfsvoll. »Aber wir hatten schließlich eine Abmachung, nicht wahr? Ich habe bei allen Hotels auf deiner Reiseroute angerufen. W. Gude half mir. Hat man dir nichts ausgerichtet?«
    »Doch«, nicke ich. »Aber ich hatte nie Zeit, zurückzurufen. Ich dachte nicht, daß es so wichtig ist.«
    Er zuckt die Schultern, mag nicht, was ich sage. Er ist wichtiger als ich. In seinem Szenario bin ich ein Lakai, den er mit einer Gratismahlzeit abspeisen kann und der ihm trotzdem jederzeit zu Diensten steht. Ich hätte das am liebsten gesagt, unterlasse es aber wegen Sigrun. Ich spüre, daß ich heute abend trinken muß. Erst beim Essen. Bei all den Toasts. Ich muß das Repertoire sorgfältig auswählen, denke ich. Keine technischen Finessen diesmal. Er geht mit mir aufs Podium. Will kontrollieren, daß alles in Ordnung ist, so kurz vor dem Eintreffen der anderen Gäste. Er sagt, daß wir uns beeilen müssen.
    Es ist ein kleiner, schwarzer Flügel. Ein Schimmel. Ich spiele einige Takte aus der »Suite Bergamasque«.
    »Das Instrument ist ja noch nicht einmal eingespielt«, murmele ich überrascht.
    »Nein, es ist ganz neu«, antwortet Gunnar Høegh stolz. »Die meiste Zeit steht es in einem Abstellraum, damit niemand es beschädigt.«
    »Das ist ein großer Fehler«, sage ich. »Alle Instrumente müssen gespielt werden, um schön zu klingen.«
    »Deshalb bist du hier«, sagt er mit einem entwaffnenden Blick auf Sigrun, die zuhört. Er meint, seine Antwort sei souverän. So ein Idiot, denke ich.Mehr Zeit bleibt uns nicht. Die Flügeltüren öffnen sich. Die Gäste kommen. Sie strömen zu den Buffets, wo der Champagner steht. Ich verlasse Sigrun und Gunnar Høegh, die stehenbleiben und sich unterhalten. Ich will Champagner haben, rede mir ein, daß ich mich nicht warmspielen brauche, fühle mich wie ein Jazzmusiker. So habe ich das jetzt vierzehn Tage gemacht. Manchmal mußte ich direkt von der Hurtigrute aufs Podium.
    Da erblicke ich Rebecca Frost. Mein Gott, da kommt sie, feierlich gekleidet, im burgunderroten Kleid, zusammen mit ihrem Gatten Christian Langballe. Und da sind doch tatsächlich auch ihre Eltern, Desiré und Fabian Frost, Teilhaber an der Hurtigrute. Sie treten auf wie eine glückliche Familie, zwei Generationen, jeweils Hand in Hand. Aber Rebecca läßt sofort, als sie mich sieht, Christians Hand los. Ich habe Christian Langballe nicht mehr gesehen seit der üppigen Hochzeit, auf der er mich mit bloßen Fäusten niederschlagen wollte. Er sieht genauso aus wie damals, nur noch kindischer. In seinem Gesicht ist ein Zug von naiver Brutalität. Jeder, der ihn sieht, muß denken: Er entwickelt sich zum Negativen.
    Aber dann kommen sie auf mich zu, alle vier. Ich stehe mitten im Strom, bin nicht zu übersehen.
    »Du hier?« ruft Rebecca aus. Ich sehe, daß sie zögert, daß sie überlegt, ob sie mich berühren soll. Ich lasse mir nichts anmerken. Wir umarmen uns kurz, als würden wir uns kaum kennen. So will es Christian haben. Er gibt mir gleich darauf die Hand, grinst frech und stellt fest, daß es in der Tat eine Überraschung sei, mich zu sehen. Nur die Eltern grüßen herzlich und offen, fragen neugierig, was mich hierher verschlagen hat. Ich erzähle ihnen von meiner Tournee, daß ich für einige Monate Oslo den Rücken gekehrt habe, um in Ruhe Rachmaninows zweitesKlavierkonzert einüben zu können, das ich mit der Philharmonie spielen werde. All das klingt vernünftig in ihren Ohren. Sie erzählen ihrerseits, daß sie an diesem Morgen von Oslo aus nach Nordnorwegen geflogen sind, um am folgenden Tag an Bord ihres neuen Schiffes in der Hurtigrutenflotte zu gehen und damit nach Bergen zu fahren. Überdies finde gerade heute abend der große Empfang von A/S Sydvaranger statt, an dem sie jedes Jahr teilnehmen würden.
    »Und Christian und ich sind mitgekommen, eine willkommene Unterbrechung des Studiums«, sagt Rebecca pflichtschuldigst. Ihr Gesicht ist ein einziges Fragezeichen, drückt ihren Unmut aus, daß ich sie von meinem Hiersein nicht informiert habe. Als sich die Familie umdreht, um Gunnar Høegh zu begrüßen, flüstert sie verbissen:
    »Wir müssen miteinander reden!«
    »Kein Problem«, sage ich. »Wann immer du willst. Ich habe nichts zu verbergen.«
    Ich werfe einen vielsagenden Blick auf Christian. Das macht sie noch wütender.
    »Warum zum

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