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Die Frau im Tal

Die Frau im Tal

Titel: Die Frau im Tal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ketil Bjørnstad
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im Schießstand.«
    »Obwohl er Witwer geworden ist, bleibt er weiterhin hier oben?«
    »Ja«, sagt Eirik. »Aber auch wenn die Finnmark von jedem Neuankömmling viel fordert, ist es noch schwerer, sie zu verlassen. Außerdem hat er den Posten eines Direktors. Er hat Einfluß. Er kann etwas bewirken.«
    »Und die Liebe?« frage ich.
    »Er findet sicher eines Tages wieder eine Frau«, sagt Eirik. »Er ist ein richtiger Frauenheld. Er ist nicht dafür geschaffen, allein zu leben.«

    Als Eirik auf den Hof des Internats einbiegt, habe ich nach meiner wilden Tournee das Gefühl, ins Kloster zu kommen. Tanja Iversen steht mit einigen Freundinnen an der Eingangstür und raucht. Ach ja, sie, denke ich. Meine Schülerin. Warum war ich so leichtsinnig und habe ihr Klavierunterricht versprochen? Als wollte ich mich bewußt ablenken.
    Ich verabschiede mich von Sigrun und Eirik. Sie sitzt neben ihm auf dem Beifahrersitz, ebenso fehl am Platze wie eine richtige Ehefrau.
    »Ruh dich jetzt aus, Aksel«, sagt sie müde. Ich merke, daß sie nicht mit mir reden will, wenn Eirik anwesend ist. Geht es ihr mit Gunnar Høegh genauso?
    »Wann spielen wir zusammen?« frage ich.
    »Bitte keinen Druck. Ich muß die ganze nächste Woche arbeiten.«
    »Dann wohnst du in Kirkenes?«
    »Ja.« Sie schaut Eirik an.
    »Natürlich«, sagt er.
    »Und die Woche darauf?«
    »Da ist es leichter. Da bin ich hier. Da können wir zusammen spielen.«
    »Ihr habt bereits etwas geplant?« sagt Eirik begeistert.
    »Ja. Wir wollen Brahms spielen. Wenn ich mich traue.«
    »Du traust dich, mein Schatz.« Eirik gibt Sigrun einen Kuß auf die Wange. »Das paßt ausgezeichnet. In der Woche muß ich mit einigen der sportlichsten Jungs im Lavvo übernachten. Dann habt ihr das Haus ganz für euch.«

    Eirik hilft mir mit dem schweren Koffer. Er ist dreißig Zentimeter kleiner als ich, aber so kräftig, daß er den Koffer mit zwei Fingern in hohem Bogen über meinen Kopf schwingt. Er hat alles auf eine Karte gesetzt. Ich möchte nicht daran denken.
    Ich blicke mich um. In diesem schneeweißen Tageslicht wirkt der Ort so fremd. Aber ich bin gerne wieder hier. Einige Schüler gehen vorbei und grüßen mich freundlich.
    »Sie freuen sich, dich wiederzusehen, Aksel«, sagt Eirik.
    »Und dort steht Tanja Iversen«, sagt Sigrun. Sie mustert die große, selbstbewußte Gestalt mit einem Lächeln.Sigrun küßt mich kurz und freundschaftlich auf die Wange. Eirik drückt mich an sich, als seien wir alte Freunde. Dann fahren sie weiter, hinauf zu ihrem Haus.
    Ich stehe vor dem Internat und begrüße etwas verlegen Tanja. Sie löst sich rasch von den andern Schülerinnen, signalisiert, daß sie mit mir allein sein will.
    »Du hast mich also nicht vergessen?« sagt sie ernst. Sie zieht den Rauch tief in die Lunge.
    »Kann ich eine von dir schnorren?« sage ich und spüre den Sog.
    »Ich dreh dir eine.«
    Sie leckt das Papier ab. »Diesmal eine normale«, grinst sie.
    Ich mache einen tiefen Zug.
    »Erste Klavierstunde ist morgen«, sage ich.
    »Womit fangen wir an?«
    »Das bestimmst du«, sage ich.
    »Aber du bist doch mein Lehrer?«
    »Ebendeshalb«, sage ich.
Abendstimmung mit den Schülern
    Es ist ein Kloster, denke ich und verstaue alle Wodkaflaschen, die ich aus Kirkenes mitgebracht habe, ganz hinten im Kleiderschrank meines kleinen, bescheidenen Zimmers. Das braune Klavier steht da und wartet auf mich. Das Zimmer ähnelt einer Gefängniszelle. Ab jetzt Brot und Wasser, denke ich. Ich lege mich auf das Bett und starre an die weiße Decke. Hier werde ich nun Rachmaninow einstudieren. In einem Internat mit Jugendlichen als Nachbarn, mit Tanja als Schülerin und mit Sigrun als engster Vertrauten. Als sei der Traum Wirklichkeit geworden,denke ich. Als seien Anja und Marianne mit dem heißen Wasser weggespült worden.

    Zusammen mit den Schülern esse ich zu Abend. Gelber Käse, brauner Käse, Leberpastete aus gelben Dosen, Mills Kaviar und eine Schüssel mit Heringen. Und dann dieser italienische Salat, wie wir in Norwegen sagen, geriebene Möhren und Fleischstücke in Mayonnaise. Knäckebrot und Margarine. Milch und Wasser in großen Krügen.
    Die Schüler begrüßen mich, als sei ich einer von ihnen. Ich bin schnell ein Teil der Gemeinschaft. Sie erkundigen sich nach meiner Tournee. Ich sitze am selben Tisch wie Tanja Iversen. Sie sitzt mir direkt gegenüber und tut plötzlich so, als würde sie mich nicht kennen. Sie unterhält sich angeregt mit einem Jungen mit schulterlangem

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