Die Frau im Tal
nicht in der Lage, zu erzählen, woher wir uns kennen. Statt dessen frage ich Sigrun, ob sie sich nicht vorstellen könne, etwas zu spielen. Sie schüttelt den Kopf. Eirik sitzt, den Arm um sie gelegt, auf der Couch. Wenn ich sie so sehe, ergreift mich eine große Hoffnungslosigkeit. Sie sind dann wie füreinander geschaffen. Ich würde nie ein vollwertiger Partner für Sigrun sein können, ich, der kleine Taschendieb. Alles, was sie mich machen läßt, ist wie Benzin ins Feuer. Ich habe eine Todesangst, Eirik könnte etwas merken. Sie ist genauso gebunden wie ich.
»Für mich ist es mehr als genug Herausforderung, mit Aksel ohne Zuhörer zu spielen«, sagt sie und richtet ihren Blick so direkt auf mich, daß ich erröte.
»Aber wann wollt ihr öffentlich auftreten?« fragt Eirik und schaut uns fragend an.
»Wenn ich den Mut dazu habe«, lacht Sigrun.
»Du gehst doch kein Risiko ein?« sagt Eirik auf seine stets verständnisvolle Art.
Sie streicht ihm zärtlich übers Haar.
»Die Musik ist ein Risiko«, sagt Sigrun mit einem Lächeln.
Dann fahren wir nach Kirkenes, alle zusammen. Draußen ist Polarnacht. Um zwei Uhr nachmittags ist es kaum noch hell. Ein intensives Gelb, das in Rot übergeht, zieht sich bis hinauf in die Finnmarksvidda. Rektor Sørensen hat Tanja Iversen und dem Milchbart erlaubt, in Kirkenes zu übernachten. Der Junge hat angeblich dort eine Großmutter wohnen. Wir quetschen uns in Sigruns Lada. Eirik fährt. Schnell und riskant wie gewohnt. Und wenn wir jetzt tödlich verunglücken, denke ich, an Tanja Iversens Oberschenkel gedrückt. Der Milchbart sitzt auf ihrer anderen Seite. Seine Hand liegt frech auf der Innenseite ihres Oberschenkels, ganz weit oben. Das ärgert mich.
Mit einem Gefühl, nicht hierherzugehören, weder in das Auto noch in mein Leben, sitze ich auf dem Rücksitz und sehe mit ängstlicher Freude der Wiederbegegnung mit Gabriel entgegen. Menschen erlangen schnell Macht über mich, denke ich. Natürlich besitzt Gabriel Macht über mich, weil er mir das Leben rettete.
Wir rauchen. Alle außer Eirik. Das ganze Auto ist voller Rauch. Wir sehen kaum etwas, als wir Höhe 96 passieren.
»Deine Freundin ist auch in der Stadt«, sagt Sigrun plötzlich von vorne.
»Welche Freundin?«
»Die schicke Dame, die so wütend war.«
»Mein Gott, meinst du etwa Rebecca Frost?«
»Ja, sie rief mich gestern an. Ich vergaß, dir davon zu erzählen. Wir sind beide in dem Kammermusikzirkel für Amateure, von dem ich dir erzählte.«
Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Das ist schlau, daß siedas jetzt sagt, während Eirik es hört. Sie erinnert ihn daran, daß es noch eine andere Frau in meinem Leben gibt. So deckt sie uns beide, denke ich erfreut.
»Wollt ihr denn zusammen spielen?« frage ich scheinbar interessiert.
Sigrun dreht sich zu mir um.
»Dazu ist keine Zeit. Sie ist auf einer Exkursion mit einigen Medizinstudenten. Sie muß morgen mit der Hurtigrute wieder abreisen.«
»Du hast ihr von dem Konzert heute abend erzählt?«
»Ja, sie sagte, sie würde kommen.«
»Und ihr verrückter Ehemann, ist er auch da?«
»Vermutlich nicht. Aber das kannst du sie ja selbst fragen«, sagt Sigrun ruhig.
Natürlich kommt sie, denke ich. Rebecca hat das eingefädelt, um herauszufinden, was ich treibe. Der einzige Kontakt, den ich seit dem unangenehmen Zusammenstoß mit Christian Langballe auf dem Fest von A/S Sydvaranger mit ihr hatte, sind die Kontoauszüge der Bank über die monatliche Zahlung der Miete für meine Wohnung in der Sorgenfrigata. Nachdem ich das Geld für das Debüt und die Tournee in der Finnmark aufgebraucht habe, lebe ich jetzt von diesen Einnahmen.
Es sind ziemlich gemischte Gefühle, mit denen ich Sigruns Wohnung in Kirkenes betrete, in der Eirik Kjosen offensichtlich ebenso zu Hause ist wie sie und wo immer Alkohol im Kühlschrank steht. Sigrun geht auch sofort dorthin. Tanja und der Milchbart sind direkt zum Jazzclub gefahren.
»Du hast morgen Bereitschaftsdienst«, sagt Eirik besorgt.
»Erst am Nachmittag«, sagt Sigrun lässig.Sie gießt ein Glas für sich und eines für mich ein. Diesmal Weißwein. Eirik weiß vielleicht gar nicht, wieviel Wodka wir im Blockhaus getrunken haben. Eirik trinkt Wasser.
»Ihr bleibt über Nacht?« sagt sie mit einem fragenden Blick auf uns beide.
Ich werfe einen prüfenden Blick auf Eirik, möchte der Freund sein, wie er es zu sein versucht.
»Wahrscheinlich nicht«, sagt Eirik. »Jedenfalls was mich betrifft. Ich habe
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