Die Frau im Tal
finden. Rebecca, die dabei war, als wir Marianne aus dem Wasser zogen.
»Schön, dich zu sehen«, sage ich.
Sie küßt mich demonstrativ auf den Mund.
»Ganz meinerseits«, sagt sie.
Sigrun fängt an zu lachen. Dieses Lachen habe ich noch nicht gehört. Nervös und unsicher. Es erfüllt mich mit stiller Freude. Es ist ungewohnt, mit ihr zusammenzusein, wenn andere zugegen sind. Aber sie verhält sich mir gegenüber, als sei nie etwas gewesen. Sie ist sehr reserviert.
Mit Rebecca im Arm ist es, als spürte ich eine andere Sigrun. Sie mustert uns aufmerksam. Eirik sieht ihre Unruhe und legt seinen starken Arm um ihre Schultern.
Aber sie hat mich im Auge.
Winzige Signale, denke ich viele Jahre später. Genau in diesem Jazzclub spürte ich zum erstenmal, daß mir Sigrun etwas sagen möchte. Spürte zum erstenmal eine Bestätigung, daß das, was sich in diesen Wochen und Monaten zwischen uns abspielte, auch für sie eine Bedeutung hatte. Unsere zugeteilten Stunden. Ein einziges Mal war ich zusammen mit ihr auf einer Skitour. Und da waren auch Eirik und Gunnar dabei. Es war so kalt, daß wir die Kapuzen tief ins Gesicht gezogen hatten. Wir konnten kaum unsere Gesichter erkennen. Das paßte uns gut. Meistens haben wir die Gesellschaft anderer Menschen vermieden.Das Konzert beginnt. Njål Berger Trio. Der Pianist ist betrunken. Betrunkener, als ich selbst es je war, wenn ich für andere spielte. Der Schlagzeuger ist auch nicht mehr nüchtern. Urban Schiødt hat einen Bund Bananen dabei. So wie ich ihn kenne, hat er vor, sie als Trommelstöcke zu verwenden. Das verspricht nichts Gutes.
Sie trinken, bevor sie spielen, denke ich. Sigrun hat mich immerhin dazu gebracht, möglichst bis nachher zu warten. Die eiskalten Schlucke aus der Thermoskanne, wenn wir aufhörten zu musizieren, waren der Höhepunkt des Rausches. In dem Moment waren wir glücklich. In dem Moment gehörte uns die Welt. Und das war gar nicht so selten. Jetzt ist es, als wolle sie mich mit ihren forschenden Blicken, die sie mir zuwirft, daran erinnern.
Aber sie sitzt zwischen Eirik, der den Arm um sie gelegt hat, und Gunnar Høegh. Auf der anderen Seite sitzen Tanja Iversen und der Milchbart. Rebecca setzt sich auf den freien Stuhl neben mir. Das Njål Berger Trio beginnt zu spielen. Einige Flageoletts von Gabriel, vereinzelte Beckenschläge von Urban Schiødt, ein offener Maj-Akkord des Pianisten. Jetzt wird drauflosmusiziert.
Aber Rebecca will nicht zuhören. Sie will reden.
»Das ist schlimmer, als ich dachte«, faucht sie.
»Was denn?« flüstere ich zurück.
»Diese Menschen haben dich ja völlig vereinnahmt«, sagt sie.
»Rede nicht schlecht von meinen besten Freunden«, sage ich. »Sie sind alles, was ich habe.«
» Ich bin alles, was du hast!« flüstert sie wütend. »Aber das begreifst du noch nicht. Was willst du mit Sigrun? Eine glückliche Ehe zerstören?«
»Wie ich hörte, wolltest du mit ihr spielen?«
»Stimmt. Aber sie hatte keine Zeit. Und warum? Was macht sie? Habt ihr schon was miteinander? Bist du wirklich so verrückt?«
»Psst!« sage ich nervös wegen der zunehmenden Lautstärke ihrer Stimme. »Ich lebe im Zölibat.«
»Im Zölibat? Frage einen katholischen Priester, was das Wort bedeutet!«
»Benimm dich jetzt. Sollten wir nicht der Musik zuhören?«
Sie gehorcht, faltet sich zusammen wie eine Nonne. Ich möchte sie in den Arm nehmen.
Njål Berger Trio. Sie spielen wie der Teufel. Ich schließe die Augen und versuche, mich darauf zu konzentrieren, was sie vermitteln wollen. Es klingt nüchtern, fast weich, aber es packt mich nicht. Es gelingt mir nicht, den Kapriolen des Pianisten zu folgen. Da ist weder ein Gewicht noch eine Leichtigkeit zu spüren.
Rebecca beugt sich zu mir, als eine halbe Stunde vergangen ist.
»Das ist halbe Musik«, sagt sie.
Ich überlege, was sie wohl damit meint. Halbe Musik? Dann werfe ich einen Blick hinüber zu Sigrun. Sofort erwidert sie meinen Blick, als hätte sie nur darauf gewartet. Ihr Gesicht ist ernst. Sie will mir etwas mitteilen. Aber ich weiß nicht, was es ist, und ich mag keine Ratespiele.
Halbe Musik? Ja vielleicht, denke ich. Weil sie nirgendwohin führt. Diese Musik kokettiert mit sich selbst, und dabei bleibt es. Sie wird nicht zu einem Thema, das sich entwickelt. Sie begnügt sich mit Andeutungen. Halbe Themen. Halbe Akkordreihen. Vielleicht ist das die Form der Jazzmusik, denke ich. Daß sie kokettiert. Rachmaninow kokettiert nicht. Bei ihm ist alles todernst.
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