Die Frau meines Lebens
nur ein Anrufbeantworter meldete. Die unbegründete Hoffnung, daß
Isabelle mich auf Handy zurückrufen würde, wenn es denn überhaupt ihre Nummer
war.
Julie sah
mich eine Weile schweigend an, nachdem ich geendet hatte. Es war Viertel vor
acht, und ich dachte, sie würde jetzt wieder einmal ihren berühmten Satz vom
Entdramatisieren zitieren.
Statt
dessen nahm sie meine Hand. Das war noch nie vorgekommen, solange wir zusammen
arbeiteten. » Mon pauvre ami «, sagte
sie. »Dich hat's aber ganz schön erwischt, was?«
Ich nickte.
Genauso war es, und ich war ihr irgendwie dankbar, daß sie diese ganze
Geschichte nicht als völlig verrückt abtat. Ich meine, die Geschichte war verrückt. Es war das Verrückteste,
was mir je im Leben passiert war. Aber es war passiert. Und ich wollte, daß es
weiterging.
»Ich weiß,
es klingt alles völlig abgefahren«, sagte ich, um mir selbst Mut zu machen.
»Aber ich will diese Frau unbedingt wiedersehen.« Ich sah Julie in komischer
Verzweiflung an. »Was kann ich nur tun Julie, was? Gibt es nicht einen
Ratgeber, wie man die Frau seines Lebens wiederfindet, wenn man sie verloren
hat?«
Julie
lächelte weise. »Nein, Antoine. So einen Ratgeber habe ich leider nicht. So
etwas kommt eher in Romanen vor.«
Sie blickte
auf die Uhr, stand auf und griff nach ihrem Mantel. »Oje, ich muß jetzt los.
Robert kommt gleich nach Hause. Ich lasse dich ungern allein. Kann ich noch
etwas für dich tun? Willst du vielleicht mit zum Essen kommen?«
»Nein,
nein, ich bin um neun mit Nathan im Bilboquet verabredet. Aber danke, Julie.«
Sie strich
sich über ihre schwarzen Haare, steckte eine Strähne fest, die sich gelöst
hatte, und wandte sich zum Gehen.
»Dann bis
morgen, Antoine! Schlaf dich ruhig aus, du hast es nötig.«
»Julie?«
rief ich ihr nach.
Sie drehte
sich zu mir um.
»Ja?«
»Sag mir
nur noch eines. Was würdest du an meiner Stelle tun?«
Sie
überlegte ein paar Sekunden, und ihre dunklen Augen schimmerten versonnen.
»Ich würde
an den Ausgangspunkt zurückgehen. Dorthin, wo alles angefangen hat«, sagte sie
nachdenklich. Die Worte klangen prophetisch, irgendwie bedeutungsvoll. Sie
merkte es und lachte.
»Jetzt muß
ich wirklich los. Salut , Antoine.«
Sie winkte und trat auf die Straße.
» Salut , Julie.«
Ich sah ihr
nach, wie sie mit schnellen Schritten in der Dunkelheit verschwand. Eine große,
schlanke Gestalt, die trotz aller Eile Haltung bewahrte. Eine Weile hörte ich
noch das leise Klacken ihrer Stöckelschuhe, die auf dem Pflaster widerhallten,
dann verlor sich das Geräusch in den anderen Geräuschen der Straße.
Es war
Viertel nach acht, ich hatte noch eine Dreiviertelstunde Zeit bis zu meinem
Treffen mit Nathan. Ich zog meine Jacke über, löschte das Licht, schloß die Tür
der Buchhandlung hinter mir ab und machte mich zum zweiten Mal an diesem Tag
auf den Weg ins Café de Flore.
11
Julies
Worte klangen in mir nach, als ich die Rue Bonaparte in Richtung
Saint-Germain-des-Prés entlangging. Vielleicht war der Ausgangspunkt meines
Abenteuers wirklich der Schlüssel zu allem.
Daß ich
nicht von selbst darauf gekommen war! Es war so naheliegend!
Jeder
Mörder kehrt wie unter innerem Zwang an den Ort der Tat zurück. Warum sollte
das nicht auch für Verliebte gelten? Und was war mit den Menschen, die sich
nicht mehr an etwas erinnern konnten, die ihren Gedanken sozusagen verloren hatten?
Sie gingen an den Ort zurück, an dem sie den Gedanken zuerst gehabt hatten – et voilà! – der Gedanke kehrte zu ihnen
zurück, und plötzlich wußten sie wieder, was sie aus dem Keller holen wollten.
Als ich
beim Deux Magots um die Ecke bog, hatte ich alle meine Chancen ausgerechnet.
Und sie standen, wie ich fand, gar nicht mal so schlecht.
Gesetzt den
Fall, daß es eine Art Schema gab, nach dem Menschen, die füreinander geschaffen
waren, handelten, bestand immerhin die Möglichkeit, daß auch Isabelle wieder an
den Ort zurückkehrte, an dem sie mich zuerst gesehen hatte. Gut, es bedurfte
schon einer unglaublichen Intuition, um zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu
sein. Das war nicht zu bestreiten. Aber es gab solche Zufälle, die vielleicht
gar keine Zufälle waren, sondern von dem gesteuert, was man »Weltenseele«
nennt.
Und wenn
man einen etwas weniger mystischen Ansatz wählte, sondern systematisch an die
ganze Sache heranging, war es doch sehr gut möglich, daß einer der Kellner
Isabelle kannte oder mir zumindest einen Hinweis geben konnte, in der
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