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Die Frau mit dem Hund

Die Frau mit dem Hund

Titel: Die Frau mit dem Hund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Birgit Vanderbeke
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Ausweglosigkeit ihrer Lage begriff. Sie sah sehr klein und hilflos aus, gleichzeitig mochte sie noch nicht aufgeben. Verloren und tapfer zugleich. Die schwarzen Ponyfransen hingen ihr schräg in die Stirn, und Abramowski wurde zum zweiten Mal innerhalb sehr kurzer Zeit von einer Lawine an Lebenslust fortgerissen, von dem Gefühl, dass sein Gedächtnis dem hier gegolten hatte, dass dies jetzt die Zukunft war, auf die sein Großvater ihn hatte vorbereiten wollen, diese kleine verlorene Person, der etwas zugestoßen sein musste und die hier gestrandet war, im siebten Distrikt, in dem niemandem etwas zustieß, kein Gedächtnis, keine Zukunft, kein Kind und kein Hund, und Abramowski fühlte sich stark und der Zukunft gewachsen.
    Zsazsa sah ihn an, als wollte sie ihm sagen, jetzt pass du mal auf sie auf.
    Ich pass auf dich auf, dachte Abramowski, aber er sagte nichts, sondern wartete, bis Pola einen letzten Versuch unternahm.
    Kannst du nicht einfach was kochen, sagte sie. Es klang verzagt. Zugleich trotzig. Dann setzte sie hinzu, es macht Spaß, zu Hause zu kochen.
    Timon sagte, siehst du hier einen Herd.
    Ihr Blick blieb einen Moment an der Mikrowelle hängen und wanderte dann zu ihrem Hund, der geduldig vor der Couch saß und zwischen ihnen beiden hin- und herschaute, als wüsste er auch gern, wie es weiterginge.
    Sie strich ihm über den Kopf und sagte, ach Zsa­zsa, in was sind wir da reingeraten, und der Hund legte ihr eine Pfote aufs Bein, zog sie aber gleich wieder zurück, als sie sagte, was sind denn das für Sitten.
    Dann fing sie an, sich etwas genauer in der Wohnung umzuschauen. Abramowski ließ ihr Zeit zu begreifen, dass er eine Frau mit Hund nur kurzfristig aufnehmen konnte.
    Kühlschrank ist wohl auch nicht, sagte sie schließlich.
    Energiefresser, sagte Abramowski. Kümmert die Stiftung sich drum, um alles. Strom, Wasser, Essen. Was du eben brauchst. Mikrowelle, Konsole.
    Eigentlich praktisch, sagte Pola mutlos. Nach einer kleinen Pause fügte sie abschließend hinzu: Und das Blumenservice kannst du dann bei der Show gewinnen.
    Was für ein Blumenservice, sagte Abramowski.
    Pola sagte, das Blumenservice aus unzerbrech­licher Luminose, oder wie das heißt. Das wollte deine Nachbarin gewinnen. Das haben wir ihr dummerweise vermasselt.
    Ein Blumenservice, ein Styling-Paket, eine Joggingmontur und was sonst noch alles, sagte Abramowski.
    Komisch, sagte sie nachdenklich, stand von der Couch auf und ging zum Fenster.
    Regen, sagte sie dann. Auf den haben wir so gewartet.
    Abramowski schwieg und war gespannt, ob sie ­etwas von dem »Wir« erzählen würde, das auf den ­Regen gewartet hatte, aber sie wechselte das Thema.
    Im März war meine Großmutter einfach zu krank, sagte sie. Ich konnte sie nicht allein in Klein-Camen lassen.
    Und deine Eltern, sagte Abramowski.
    Sind schon lange vor der Agrarreform weggegangen.
    Timons Blick wanderte langsam an dem Regal nach oben, in dem er seine Filme archiviert hatte; ganz oben stand ein uralter Schuhkarton, in dem er die Briefe aufbewahrte, die seine Mutter ihm geschrieben hatte und die immer mit einem Seufzer der Erleichterung endeten: Sei froh, dass Du das nicht ­erleben musst, wie hier alles zugrunde geht und verfällt. Zuvor hatte sie über zwei Seiten in ­ihrer un­gelenken, eckigen Handschrift Bericht erstattet: von der Schließung des Lebensmittelladens, von den Überlegungen, ob man nicht das Foyer des leer stehenden »Capitols« als Markthalle nutzen könnte; davon, dass sich niemand finde, der bereit sei, die Praxis des alten Doktor Pabst zu übernehmen, eine Schande, wo der alte Doktor sich mit seinen siebzig Jahren nun wirklich den Ruhestand verdient hätte, am Ende würde man ihn noch mit den Füßen voran aus dem Behandlungszimmer tragen müssen; ein andermal war von den Nachbarn die Rede, die him­mel­hoch verschuldet waren und ihren Betrieb würden verkaufen müssen. Das Postamt machte dicht, der Pastor kam nur noch alle vier Wochen, später gar nicht mehr, die Leute zogen weg, die Schule wurde geschlossen und die Bushaltestelle abgebaut, die Stra­ßenschäden nicht mehr ausgebessert. Sei froh, dass Du beizeiten gegangen bist, so oder so ähnlich endeten all ihre Briefe. Bei der Stiftung bist Du in Sicherheit, und natürlich hatte sie recht, Timons Mutter, Hainegg war längst von der Landkarte verschwunden,

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