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Die Frau mit dem Hund

Die Frau mit dem Hund

Titel: Die Frau mit dem Hund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Birgit Vanderbeke
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Effizienzsteigerung in der Wäscherei mehr gemacht.
    Inzwischen saß sie vor einem der beiden Bildschirme in ihrem Büro und kontrollierte, ob die Kleidungsstücke der Klinik richtig eingelesen wurden, sie meldete defekte Chips, unlesbare Tags oder Probleme mit dem Transponder und plauderte mit Yvi Schallermann, die für die private Wäsche der Di­striktbewohner zuständig war.
    Ist was mit dir, sagte Yvi, als sie merkte, dass ihre Kollegin schon den zweiten Tag in sich gekehrt im Büro saß, wo sie sonst zu jedem Klatsch und Tratsch aufgelegt war. Jetzt konnte sie sich nicht einmal dafür begeistern, dass Yvi die dreihundert Sterne zusammenhatte, die sie dafür brauchte, sich ihren Traum vom Indoor-Skifahren im Pistenparadies zu erfüllen, Sessellift, sechshundert Meter Abfahrt und anschließend ein Cocktail an der Eisbar, Verleih inklusive.
    Toll, sagte Jule, und als Yvi sie fragte, ob sie Skier oder ein Snowboard nehmen sollte, sagte sie, such’s dir halt aus, als wüsste Yvi nicht, dass Jule sich zwar im Leben nicht auf irgendein Brett stellen würde, aber sie beide sahen sich »Feeling alive« an, also wusste Jule natürlich, dass schwereloses Gleiten und Schweben nur mit dem Board zu haben war und für jeden, der auf der Höhe war, Skier nicht mehr in Frage kamen.
    Ich bring dir eine Schneekugel für deine Vitrine mit, sagte Yvi, die allmählich zu vermuten begann, dass Jule ihr die Cocktails an der Eisbar nicht gönnte, weil sie so wortkarg vor ihrem Bildschirm saß.
    Du hast doch was, sagte sie besorgt, als Jule auch auf die Schneekugel nicht reagierte.
    Was soll schon sein, sagte Jule unwirsch. Die Frau mit dem Hund spukte ihr durch den Kopf.
    Ich kann da jetzt nicht wieder raus, hatte die Frau gesagt.
    Hier im Distrikt jedenfalls konnte sie nicht bleiben. Nicht mit einem Hund. Und Jule wiederum konnte Yvi von der Frau nichts erzählen, weil Yvi Schallermann ebenso gut wie sie wusste, dass Hund, Katze, Maus gesundheitlich ein Graus waren, mit den hygienischen Anforderungen einer Wäscherei absolut unvereinbar. Jule dachte an ihre kontaminierte Wohnung, in der sie sorgfältig nach Hundehaaren gefahndet und reichlich Vaporix versprüht hatte. Sie selbst schien noch einmal davongekommen zu sein: kein Ausschlag, nur ein leichtes Jucken, das zwei Tage später verschwunden war und von dem sie inzwischen dachte, sie hätte es sich womöglich bloß eingebildet, die Frau war weg, die Wohnung war desinfiziert, aber Jule wurde das Gefühl nicht los, dass die Geschichte damit noch nicht zu Ende war.
    Der Hund hatte ein honiggelbes Fell gehabt, schöne braune Augen, er war aufmerksam gewesen und hatte ganz genau zugehört; beim Zuhören hatte manchmal sein linkes Schlappohr gezuckt. Und er hatte der Frau vorsichtig mit den Zähnen die Käse­cracker aus der Hand genommen. Und ihr zärtlich den Hals abgeleckt.
    Krank war der nicht gewesen. Die Frau war krank gewesen. Oder einfach bloß halb verhungert. Und der Hund hatte die kranke Frau bewacht und wollte sie beschützen.
    Jule fragte sich, wie es wohl wäre, beschützt zu werden.
    Nicht von der Stiftung natürlich, sondern von ­einem lebenden Wesen.
    Und sie fragte sich, wie es wohl wäre, ein lebendes Wesen zu beschützen.
    Sie fragte sich, wie es wäre, dem Hund über sein honigfarbenes Fell zu streichen. Wie sich das anfühlen würde.
    Sie dachte an die Gentle-Wax-Strips, mit denen sie sich alle paar Tage gründlich die Haare entfernte, an das Body Sugaring, zu dem Clemens sie seit Kurzem überreden wollte: die einzig hautschonende und dabei gründliche Lösung, ein für allemal. Beachbody, sagte Clemens. Jeder träumt doch von ­einem Beachbody, das kriegst du mit Waxen nicht hin.
    Jule hatte einen Termin bei der Beautyoase vereinbart, wegen der langen Wartezeiten wäre sie aber erst im Januar mit ihrem Body Sugaring dran.
    450 Punkte, dachte sie jetzt. Und das fürs Haareausreißen.
    Jule Tenbrock war schon immer in der Stadt gewesen. Sie erinnerte sich dunkel an die Zeit der Aufstände und Unruhen, bevor die Stiftung die Versorgung und das Netz übernommen hatte, schlimme Zei­­ten waren das gewesen, bis sie die Epidemien in den Griff bekam. Eines Abends, das hatte Jule fast vergessen, aber jetzt fiel es ihr wieder ein, hatte ihre Mutter am Fenster gestanden und auf die Straße ­geschaut, auf der sich irgendwelche

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