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Die Frau mit dem Hund

Die Frau mit dem Hund

Titel: Die Frau mit dem Hund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Birgit Vanderbeke
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Ansehen steigerte, in der Liegenschaftsabteilung beschäftigt zu sein.
    Rahman sagte, na dann, auf in die humanitäre Käfighaltung.
    Das will ich nicht gehört haben, sagte Abramowski, aber natürlich waren ihm, nicht anders als Rahman, die Angelegenheiten, mit denen er sich in der neuen Abteilung befassen musste, von Anfang an gegen den Strich gegangen: Business Improvement war das Schlagwort, es ging um Flächenbedarf, Wohnungsumbau, Parzellierung, Nutzungsbereiche, Bewegungselemente, Sanierung, Innenausstattung, und Abramowski war es herzlich egal gewesen, ob gelbe, grüne oder graue Teppichauslegware verlegt werden sollte, langhaarig, kurzhaarig oder Velours; es war ihm zu öd, die elektrischen Anschlüsse und die Steckdosen zu zählen, die pro Wohneinheit abgeklemmt werden mussten: wenig Strom bei großem Nutzen. Nach ein paar Wochen in der Abteilung hatte er gekündigt.
    Timon Abramowski ging es um Filme, um die Klassiker, die er im »Capitol« gespielt hatte, um die großen Filmdosen mit den Zelluloidrollen darin, die Filme von Frank Capra, Billy Wilder, Howard Hawks. »Hatari« kannte er auswendig, seit er sechs oder sieben gewesen war. Wort für Wort, mitsamt den Stellen, die er später selbst auf den Index setzte.
    Sie haben wohl etwas getrunken? Nein Ma’am, ich habe schwer gesoffen.
    Das war natürlich nicht kinder- und jugendfrei und ein Fall für die Freiwillige Selbstkontrolle gewesen. Es hatte nach einigen Telefonaten herausgeschnitten werden müssen, aber Abramowski würde es nicht vergessen, so wenig wie er seine Kindheit in Hainegg vergessen würde.
    Milos Rahman hatte er seitdem nicht mehr ge­sehen. Mit seiner Di-Card hätte Timon die Stiftungsgebäude im ersten Distrikt auch gar nicht ­betreten können. Was aus Rahman geworden war, würde ihn jetzt wirklich einmal interessieren. Hier im siebten Distrikt war er jedenfalls nicht.
    Pola, als Abramowski nicht antwortete, wiederholte noch einmal: Wir haben doch keine Syphilis, oder was.
    Nein, sagte Abramowski schließlich und dachte an die Meldungen über das wüste Treiben in den vorstädtischen Problemzonen.
    Nein, vermutlich nicht, aber die Zeit der Quarantänestationen ist unwiederbringlich vorbei.
    Wo kommst du eigentlich her, fragte er.
    Klein-Camen, sagte Pola.
    Bergbau, sagte Abramowski.
    Pola legte ihren Kopf schräg. Ehemals Bergbau, die Grube ist längst geschlossen. Zuletzt lebten da nur noch Frauen. Die Männer sind schon lange tot. Das Übliche, Lunge und Knochen.
    Haben sie euch in Klein-Camen nicht gesagt, dass man sich bis Ende März noch registrieren lassen konnte?
    Pola biss sich auf die Unterlippe. Sie begann zu begreifen, dass sie in einer sehr schwierigen Lage war.
    Ein paar Wochen Quarantäne, und danach hättest du deine Di-Card gehabt.
    Pola schaute auf ihren Bauch hinunter.
    Im März habe ich das noch nicht gehabt, sagte sie.
    Und ohne Di-Card, sagte Timon, ohne sich be­irren zu lassen.
    Wie, sagte Pola. Alles nur mit Di-Card.
    Du hast es erfasst, sagte Timon. Ganz egal, wo du hingehst, ohne die Di-Card läuft gar nichts. Da kommen deine Punkte drauf, und da werden sie wieder abgebucht. Ganz einfach.
    Hast du dich auch registrieren lassen, sagte Pola.
    Schon ein paar Jahre vor der Agrarreform. Noch vor der Leptospirose. Nach der Listeriose. Und nicht im siebten Distrikt. Der kam später.
    Und was soll ich jetzt machen, sagte Pola.
    Das Ärgerlichste ist, sagte Timon und kam damit zur einstweilen letzten seiner Hiobsbotschaften.
    Nur zu, sagte Pola.
    Ich kann dich nicht auf meine Di-Card mit versorgen. Punkte sind da zwar massenhaft drauf.
    Aber, sagte Pola.
    Du bekommst auf die Di-Card dein Essen, Wäsche, Kleidung und alles, was du sonst noch so brauchst. Was und wie, kannst du dir aussuchen, aber es bleibt dabei: nur für eine Person.
    Es gibt Ausnahmen, fuhr er fort, als er das Entsetzen auf Polas Gesicht sah. Geburtstag, Weihnachten, Valentinstag und so weiter. Aber das war’s. Ich kann nicht jeden Tag für zwei Leute die Menüboxen holen.
    Allmählich dämmerte Pola, wovon der jeweilige Held am Lagerfeuer gesprochen hatte, wenn er mit seiner Beute aus der Stadt wieder durch den Zaun zurückgekehrt war, mit dem Mehl, dem Kaffee, dem Öl, das es in keinem Supermarkt gab.
    *
    Abramowski beobachtete Pola. Sie biss sich die ganze Zeit auf der Unterlippe herum, als sie nach und nach die

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