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Die Frau mit dem Hund

Die Frau mit dem Hund

Titel: Die Frau mit dem Hund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Birgit Vanderbeke
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gestrichen, aus­radiert; da, wo einmal Hainegg gelegen hatte, waren die Mähdrescher der Stiftung mit ohrenbetäubendem Krach Tag und Nacht im ­Einsatz, Riesendinger mit Riesenscheinwerfern und Infrarotsensoren; und in der Nähe des Sees war das Sammel- und Verarbeitungszentrum entstanden, in dem Timon vor Kurzem zwei Monate Außentätigkeit absolviert hatte, weil er gehofft hatte, dort Nachforschungen über seine Eltern anstellen zu können, von denen er nichts mehr gehört hatte, seit Hainegg vom Netz genommen worden war. Und auch weil er sehen wollte, was aus Hainegg geworden war, und natürlich, weil er sich ein paar alte Filme besorgen wollte, für die er eine hübsche Menge Punkte brauchte. Peckinpah, Pollack, Polanski. » Frantic « und » Chinatown « . Hatte er lange nicht mehr gesehen. Sollte er vielleicht wieder mal machen.
    In der Stadt waren sie nicht, seine Eltern, das hatte er herausgefunden. Wahrscheinlich waren sie in einer der Seniorenresidenzen auswärts gelandet.
    *
    Pola stand am Fenster, schaute in den Regen hinaus und dachte an ihre Großmutter, die bis zuletzt unbeirrbar in ihrem Garten herumgefuhrwerkt hatte wie immer, selbst als der halbe Ort sich schon längst in der Stadt angemeldet hatte und in Klein-Camen nur noch ein paar störrische alte Leute zurückgeblieben waren, die sich auf ihr Eigentum oder lebenslanges Wohnrecht beriefen und davon sprachen, dass man alte Bäume nicht verpflanzen solle, auch nicht ins Schlaraffenland.
    Wenn ich dich und Zsazsa nicht hätte, hatte Matilde oft gesagt, euch beide und den Garten, ich wüsste nicht, was ich machen würde.
    Zsazsa war ein Welpe aus einem Wurf in der ­Nachbarschaft, sie war geboren worden, kurz nachdem Polas Eltern gegangen waren und Matilde das Kind ge­lassen hatten, weil sie ihrerseits nicht gewusst hatten, was sie machen würden und wie es bei ihnen weiterginge.
    Es war eine wirre Zeit damals, das Ende einer Epoche, bevor etwas Neues anbrach; die Gruben waren geschlossen worden, die Menschen mussten aus Klein-Camen weggehen und sehen, ob sie irgendwo anders eine Arbeit bekämen, die Stiftung hatte übergangsweise für die Kinder, die nicht mehr versorgt werden konnten, eine Abteilung Förderung/Fürsorge ins Leben gerufen, aber um keinen Preis der Welt hätte Matilde Pola der Abteilung Förderung/Fürsorge überlassen. Nicht solange sie am Leben war.
    Das Kind weinte anfangs viel und konnte abends nicht einschlafen, bis seine Großmutter die Idee mit dem Welpen hatte.
    Ins Bett kommt der Hund mir nicht, sagte Matilde streng, als Pola sich Zsazsa zum Kuscheln ins Bett holen wollte, aber Zsazsa bekam ihr Körbchen in ­Polas Zimmer und passte von klein an jede Nacht auf Pola auf.
    Bei ihrer Großmutter war Pola in all den schlimmen Jahren gut aufgehoben, die harkte seelenruhig in ihrem Garten, erntete Bohnen, Tomaten, Kürbisse und Kartoffeln und achtete darauf, dass Pola vernünftig lernte und gewissenhaft ihren Hund versorgte.
    So ein Unfug, sagte Matilde, als die Leptospirose-Meldungen sich häuften und die Rede davon war, dass die Gefahr einer Massenansteckung für Menschen bestand. Auf allen Kanälen wurden die Meldungen stündlich ausgestrahlt. Es wurde zu vorsorglichen Impfungen geraten, Hundebesitzer wurden dringend aufgefordert, umgehend den Veterinär aufzusuchen, das Tier auf die gefürchteten Spirochäten untersuchen und bei positivem Befund unbedingt einschläfern zu lassen, aber Matilde dachte nicht daran, mit Zsazsa zum Tierarzt zu gehen.
    Die tun inzwischen zweimal im Jahr, als wäre die spanische Grippe ausgebrochen, sagte sie, als wieder einmal von Pandemie die Rede war, papperlapapp, alles dummes Zeug, und damit war der Fall für sie erledigt.
    Nachdem ihre Großmutter gestorben war, war Pola in Klein-Camen geblieben, bis der Ort vom Versorgungsnetz genommen worden war und allmählich der Abriss begonnen hatte. Im Mai hatte sie ihren Rucksack gepackt und sich von den drei alten Frauen verabschiedet, die ihre Großmutter gerngehabt hatte und mit denen sie donnerstags immer Canasta gespielt hatte. Als Letztes von Malenka. Über Malenkas zerfurchtes Gesicht war ein winziges Rinnsal gelaufen, das sich durch die Falten einen Weg nach unten grub und dann mit der Ecke einer Küchenschürze weggewischt wurde, weil Malenka ein Abschiedsgeschenk für Pola hatte.
    Ich hab da noch was für dich,

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