Die Frau mit dem Hund
Kämpfe und ÂTumulte abgespielt hatten, Jule hatte auch ans Fenster gewollt, aber ihr Vater hatte sie sich auf die Schultern gesetzt und gesagt, das ist nichts für Kinder.
Ihre Mutter war am Fenster unruhig geworden.
Ich kann das nicht sehen, hatte sie schlieÃlich gesagt. Dann hatte sie plötzlich das Fenster geöffnet und aufgeregt auf die StraÃe hinunter gewinkt oder gestikuliert und ein Zeichen gemacht. Danach hatte sie auf den Summer für die Haustür gedrückt, und kurz darauf war die Wohnung voller Menschen gewesen. Die Menschen hatten einen Mann getragen, den sie mitten im Wohnzimmer auf den Teppich ablegten. Der Mann hatte wirre lange Haare, auch im Gesicht waren Haare, und auf dem Teppich war Blut. In der Wohnung war es furchtbar laut geworden, und Jules Vater hatte gesagt, du bringst uns noch mal in Teufels Küche mit deiner GroÃmütigkeit.
Natürlich hast du recht, hatte Jules Mutter gesagt, während sie sich mit Verbandszeug und Pflaster an dem Mann zu schaffen machte.
Dann hatte sie zum Fenster gezeigt und gesagt, aber sollen wir da auch noch zuschauen und nichts tun. Das ist eine furchtbare Zeit, hatte sie leise gesagt. Ist es doch, oder.
Später hatte sie für die anderen Tee gekocht, und am nächsten Morgen, als Jule aufgewacht war, waren alle weg, bloà das Blut auf dem Teppich war noch da und ging auch mit kaltem Wasser nicht weg, so sehr ihre Mutter auch daran herumrieb.
Ihre Eltern hatten sich später getrennt, aber da ging Jule schon in die Pflichtschule und bekam Âeinen Platz für betreutes Wohnen in der neuen Siedlung, die die Stiftung an der Ostseite des Stadtparks eingerichtet hatte, um die Kinder aufzunehmen, denen in den Wirren der Zeiten die Familien abhandengekommen waren.
*
Kann ich Pola sagen, fragte Timon Abramowski.
Klar, sagte Pola, da drauÃen duzen sich alle. Sie zeigte mit der Hand in die Richtung, in der Detroit lag.
Wird so schon kompliziert genug werden, sagte Abramowski, und mit Siezen wirdâs auch nicht leichter.
Also erstens, sagte er dann, so sanft er konnte.
Polas Augen waren zwei schmale, zusammengeÂzogene Schlitze.
Aber Zsazsa muss doch raus, sagte sie.
Ich komme darauf zu sprechen, sagte Abramowski. Und dann also zweitens.
Was ist das für ein Distrikt, sagte Pola entgeistert, als sie hörte, dass Frauen meistens schon zu Beginn einer Schwangerschaft, spätestens aber nach der Entbindung normalerweise nicht im siebten Distrikt blieben, sondern in den elften zogen, weil der familienfreundlich war.
Man muss nicht, sagte Abramowski, aber du wärst blöd, wenn duâs nicht tätest. Alle, die Kinder haben, leben im elften Distrikt, und wenn du eine gröÃere Wohnung willst, kindgerechte Einrichtungen, ambulante medizinische Betreuung, Windeln, Kinderkost, Spielplätze, Tagesstätten, Schulen â¦
Du willst nicht sagen, dass es hier bei euch keine Kinder gibt, hakte Pola in die Aufzählung ein.
Doch, sagte Abramowski. Schon seit etlichen Jahren. Keine Kinder, keine Katzen, keine Hunde.
Aber was schwerer wiegt, sagte er schlieÃlich, als er merkte, dass Pola noch immer nicht ganz verstand, in welcher Klemme sie steckte, und davon sprach, dass sie sich eben eine Di-Card besorgen und in den elften Distrikt gehen müsse, wenn sie das Kind nicht da drauÃen bei den Spinnern, sondern hier in der Stadt bekommen wolle, deshalb sei sie schlieÃlich hergekommen, und bei Abramowski in dieser winÂzigen Wohnung, so viel sei sicher, werde sie nicht bleiben können. Jedenfalls nicht mit dem Hund.
Was schwerer wiegt, ist drittens, sagte Timon.
Und nun war Pola hellauf empört.
»Public health« wiederholte sie wütend. Ansteckungsgefahr. Stadtgesundheit.
Timon merkte plötzlich, dass er nur deshalb an die Leptospirose hatte glauben wollen, weil der Schmerz um Abraxus sonst nicht gut auszuhalten gewesen wäre. Er strich Zsazsa über den Kopf und dachte daran, wie Milos Rahman damals diese kleine Geste gemacht hatte; wie er mit dem linken Zeigefinger das Lid seines linken Auges kurz nach unten gezogen hatte, und Timon fragte sich, was aus Milos geworden war, nachdem die Abteilung Familie und ÂSozialwesen aus der Zentrale in den elften Distrikt verlegt worden war und der Kinder- und Jugendschutz eingespart werden konnte.
Rahman und Abramowski hatten beide keine Lust auf die Stelle gehabt, die die Stiftung ihnen damals angeboten hatte, obwohl es das
Weitere Kostenlose Bücher