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Die Frau mit dem Hund

Die Frau mit dem Hund

Titel: Die Frau mit dem Hund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Birgit Vanderbeke
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wie er selbst. Nicht laut, aber laut genug für den neuen Hausdienst.
    Hinter »Hausdienst« setzte Abramowski ein Fragezeichen und ein Ausrufezeichen, weil er nicht einschätzen konnte, ob der neue Hausdienst ein Problem sein würde. Mit etwas Glück könnte er eine enorme Hilfe sein.
    *
    Nach drei Tagen kam Pola sich nicht mehr vor wie ein Mensch. Das Kind strampelte von innen Dellen in ihren Bauch, die sie als wellenförmige Bewegungen von außen sehen konnte; manchmal schlief es, und Pola schwor sich, dass dieses Kind sich niemals so fühlen sollte wie seine Mutter in diesen Tagen; sie fühlte sich wie ein Schwein am Futtertrog. Der Mikrowellenfraß schmeckte schon nicht, wenn er warm war, aber als kalte Reste war er Abfall. Einfach bloß Abfall, dachte Pola, ekelhaft.
    Es war eine Beleidigung, so leben zu müssen.
    Pola wollte weg, raus aus der Stadt.
    Aber das Kind in ihrem Bauch strampelte.
    Nach dem Regen wurde es allmählich kühler; demnächst käme der Winter. In der schönen Jahreszeit war das Leben da draußen nicht allzu beschwerlich gewesen, aber Pola wusste nicht, wie es im Winter sein würde, und sie glaubte nicht, dass sie das Kind ganz allein, ohne Hilfe, auf die Welt bringen könnte.
    Wie ein Tier.
    Sie musste allmählich darüber nachdenken, sich hier oben ein Nest zu bauen, und fing an, in den Nachtstunden, wenn sie mit Zsazsa wieder oben war, aufzuschreiben, was sie für ein Dachbodennest alles brauchte.
    Die Nachtstunden in der ersten Zeit waren das Schlimmste, weil Pola verstört war und mechanisch immer wieder von vorn überlegte, wie es gehen könnte, aber so sehr sie sich auch den Kopf ­zerbrach, immer gab es nur ein Ergebnis: Es würde gar nicht gehen, sie saß in einer geräumigen Falle, aus der sie so schnell nicht entkommen konnte. Die Noti­zen für den Nestbau waren das Einzige, was sie halbwegs beruhigte, weil sie eine Tätigkeit brauchte, irgendetwas tun musste und nicht nur hier oben ­herumsitzen und sich nach dem Garten in Klein-­Camen sehnen konnte, nach der Großmutter, die unbeirrt in ihrem Garten herumgefuhrwerkt hatte, selbst als die Welt zusammenbrach, und seit ihrem Weg durch die Felder war Polas Welt zusammen­gebrochen, aber Angst hilft nicht.
    Und dennoch: Wenn sie nicht gewusst hätte, dass unten, in seiner Wohnung, Timon Abramowski auch darüber nachdachte, was sie brauchen würden, Zsa­zsa, das Kind und sie, hätte sie sich wahrscheinlich jede Nacht gewünscht, am Morgen nicht mehr aufzuwachen. Wie das kleine Mädchen, das sie gewesen war, bevor sie Zsazsa bekommen und der Hund in seinem Körbchen das Kind im Schlaf bewacht hatte.
    Timon hatte keinen festen Job. Die Leute im Distrikt hatten fast alle keinen festen Job, außer wenn sie gelegentlich einen freiwilligen Einsatz hatten, in der Landwirtschaft oder in einem Fertigungsbetrieb. Im Distrikt machten sie alles ehrenamtlich, hatte Pola festgestellt, und im Distrikt hatten sie für alles die falschen Wörter. Für ehrenamtlich sagten sie Empowerment. Wer keine Lust hatte, musste nicht. Die meisten machten aber Empowerment, weil sie dafür Punkte bekamen. Timon, so viel wusste sie inzwischen, meldete sich immer, wenn es etwas anzupflanzen oder sonst eine Arbeit draußen zu erledigen gab, im Grünbereich, wie sie das nannten, Tulpenzwiebeln in die Erde stecken, Bäume schneiden, der siebte Distrikt beteiligte sich an einem Wettbewerb um die schönste Stadtbegrünung; damit waren viele Punkte zu gewinnen.
    Timon sagte, es ist nicht der Hainegger Wald, aber auf die Art bin ich wenigstens draußen. Seit Pola da war, träumte Timon vom Hainegger Wald.
    Manchmal ging er tagsüber hoch oder klopfte an die Decke, um ihr ein Zeichen zu geben, wenn er zuvor im Treppenhaus gehorcht hatte, ob die Luft rein war. Dann kam sie mit Zsazsa herunter, sie tauschten ihre Notizen zum Nestbau aus, und Timon staunte über die Frau mit dem Hund, diese Kostbarkeit, die so unerwartet in seinem Leben aufgetaucht war, dem vorher nichts gefehlt zu haben schien. Nur jetzt, wenn sie auf seinem Sofa saß, die schwarze Haarmasse mit einem Kamm hinten hochgesteckt, dass man den schönen Nacken sah, in dem sich ein paar Härchen kräuselten, die Ponyfransen achtlos im Gesicht, und manchmal pustete sie nach oben, wenn sie ihr in die Augen fielen; jetzt plötzlich tat es weh, und plötzlich fehlte alles. Die Algen

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