Die Frau mit dem Hund
Adressen warf Abramowski niemals weg. Regine Novak, schrieb er auf seine Liste und machte hinter den Namen ein Ausrufezeiten: alleinstehende Mutter war gut. Danach durchforstete er sein Gedächtnis nach alten Freunden aus der Schulzeit, schrieb alle Hundebesitzer auf, die er gekannt hatte, seinen Kumpel Nils mit dem riesigen Bernhardiner, der manchmal mit an den Hainegger See zum Baden gekommen war, eine Liz mit einem Collie fiel ihm ein, aber da wusste er den Nachnamen nicht mehr; seine Französischlehrerin, damals direkt von der Uni nach Hainegg gekommen, hatte zwar keinen Hund gehabt, sich aber zwei Katzen angeschafft, um Gesellschaft zu haben, wenn sie an den Nachmittagen ihre Hefte korrigierte, Mademoiselle Martin kam auch auf die Liste, und zuletzt war da noch der kleine Zwi Benda, der hochbegabt und schon als Kind exzentrisch gewesen war und später in ein Internat aufs Land gekommen war, eines der Bildungszentren, die damals gerade entstanden. Zwi war dem Hainegger Grundschulrektor aufgefallen, und der hatte sich die Hochbegabungsprämie nicht entgehen lassen und den Jungen der Stiftung gemeldet. Liest gern und viel, ist kreativ im Denken, neigt zu unkonventionellen Lösungsansätzen selbst bei einfachster Fragestellung. Spielt meisterhaft Schach für sein Alter. Sportliche Förderung wünschenswert.
Zwi hatte eine zahme Ratte gehabt, die er Tusnelda nannte und die sich gern auf seiner Schulter spazieren tragen und von Zwi die Welt erklären lieÃ.
Timon Abramowski sah ihn vor sich, wie er ihn zum letzten Mal gesehen hatte, mit seinen schwarzen Augen und dunklen Locken, seiner kühlen, logischen Leidenschaft, ein sonderbarer Junge war Zwi gewesen.
Ich bin bereit, das Leben als ein Schachspiel zu betrachten, hatte er seiner Ratte erklärt, als er die Prüfung zum Internat bestanden und einen Abschiedsbesuch im »Capitol« gemacht hatte.
An einem dieser Abende, an denen » Spartacus « oder » Yellow Sky « liefen und niemand gekommen war, hatten Zwi und seine Ratte sich praktisch allein die Vorstellung angesehen, und anschlieÃend hatte Zwi das Bedürfnis gehabt, dem etwas älteren Freund und Kinobesitzer sein Herz auszuschütten.
Er hatte gesagt: Niemand fragt, warum dem Springer Sprünge gestattet sind, warum der Turm nur geradeaus gehen darf und der Läufer nur diagonal.
Abramowski hatte gesagt, ich spiele nicht so gut Schach.
Danach waren sie zu Zwi gegangen, hatten sich in der Küche von Zwis Mutter die Reste der Bratkartoffeln vom Abendbrot in der Pfanne noch einmal angebrutzelt, ein Bier genommen und schlieÃlich Âeinen langen Abend und eine halbe Nacht in Zwis Mansarde zugebracht, in der Zwi sehr viel mit seiner Tusnelda, aber auch einiges mit Abramowski gesprochen hatte.
Elitedeportation, hatte er zu seiner Ratte gesagt. Sie haben mich erwischt, meine arme Tusnelda, und jetzt bin ich dran.
Timon war entsetzt gewesen und hatte gesagt, im Internat lernst du jedenfalls mehr als die Schwundstufe, mehr als das ärmliche Pflichtschulprogramm, mehr als nur halbwegs Lesen und Schreiben, sei bloà froh.
Die Gesetze müssen hingenommen werden, sagte Zwi feierlich, nach diesen Regeln wird gespielt. Er seufzte und setzte hinzu, das habe ich mir nicht ausgedacht, das ist alles bloà abgeschrieben. Er nahm ein aufgeschlagenes Buch von seiner Bettdecke und reichte es Abramowski: Siehst du. Nach diesen Regeln wird gespielt. Es wäre töricht, sich dagegen aufzulehnen. » Denken mit W. Somerset Maugham « .
Abramowski hatte gesagt, der Name sagt mir was.
Zwi sagte, Namen, Namen, Namen, wem sagen die was. Keinem sagt kein Name mehr was. Kein Name und kein Wort.
Pareto zum Beispiel, sagte er dann und zog Abramowski am Ãrmel. Sagt dir das was.
Als Name oder als Wort, fragte Abramowski.
Peckinpah, Pollack, Polanski, dachte er jetzt. Pola.
Pola sagte ihm etwas. Als Name, als Wort, als Mensch und als Frau. Als Gedächtnis und Zukunft.
Er setzte den Namen von Zwi Benda auf die linke Spalte seiner Liste und wandte sich den heiklen Namen zu, denen, die ihm Sorgen machten.
In die rechte Spalte, ganz oben, schrieb er in GroÃbuchstaben TENBROCK. Darunter die Namen der anderen Hausbewohner, wobei er hinter einige ein Fragezeichen setzte.
Ãber Jule Tenbrock würde er schleunigst mit Pola sprechen müssen, weil die Tenbrock die Schritte auf dem Dachboden und die Geräusche, die der Hund machte, so gut hören könnte
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